Die Christen in Syrien hoffen, dass die siegreichen Islamisten ihr Versprechen einhalten und Minderheiten nicht diskriminieren. Experten christlicher Hilfswerke schätzen die Lage allerdings als ungewiss ein.
Die siegreichen islamistischen Rebellen in Syrien haben versprochen, die Rechte von Minderheiten zu respektieren. Gewalt und Diskriminierung, die in der Vergangenheit unter vorrückenden Terrorgruppen im Nahen Osten an der Tagesordnung waren, werde es nicht geben, sicherte die Führung der HTS-Miliz zu, die am Wochenende blitzartig die Hauptstadt Damaskus einnahm und die Diktatur von Machthaber Baschar al-Assad stürzte. Christliche Hilfswerke aus Deutschland beurteilten die dramatisch gewandelte Lage im Gespräch mit der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) verhalten optimistisch bis skeptisch.
“Bisher haben wir keine Nachrichten über Ausschreitungen von Islamisten gegen Christen oder christliche Einrichtungen in Syrien”, sagte etwa die Länderreferentin des Hilfswerks missio für den Nahen Osten, Romina Elbracht, der KNA. Der HTS-Miliz sei bewusst, dass die ganze Welt auf sie schaue. Dennoch sei schwer vorauszusagen, ob die Rebellen ihr abgegebenes Bekenntnis zu Vielfalt und Minderheitenschutz in Syrien einhalten werden. “Wir müssen sie an ihren Taten in den kommenden Wochen und Monaten messen und die Bildung einer Übergangsregierung abwarten”, so die Stellvertretende Leiterin der Auslandsabteilung von missio.
Das Hilfswerk Misereor hält eine künftige Bedrohung von Christen in Syrien nicht für ausgeschlossen. “Es hängt alles davon ab, welche Kräfte innerhalb der Anti-Assad-Koalition in Zukunft die Oberhand behalten”, sagte dessen Syrien-Referentin Karin Bräuer der KNA. Sollten Parteienkämpfe zwischen den Milizen ausbrechen, “dann kann es furchtbar werden”, so Bräuer. Dann bestehe sehr wohl die Gefahr von Lynchjustiz gegen einstige Anhänger des Regimes und Übergriffe auf Minderheiten wie die Christen. “Die Islamisten bleiben vorerst eine große Unbekannte.”
Auch das katholische Hilfswerk “Kirche in Not” mahnte zum Schutz religiöser Minderheiten in Syrien. “Wir fordern sowohl die internationale Gemeinschaft als auch die neuen Machthaber in Syrien auf, den Schutz der Grundrechte aller Religionsgemeinschaften sicherzustellen”, teilte die geschäftsführende Präsidentin Regina Lynch in München mit. “Erfahrungen aus der Vergangenheit zeigen, dass die Religionsfreiheit in Zeiten der Instabilität in der Region stark eingeschränkt werden kann”, so Lynch weiter. Sie kündigte an, “Kirche in Not” werde sich bei seinen Projekten weiterhin darauf konzentrieren, “der am stärksten gefährdeten christlichen Minderheit” zu helfen.
Die Hilfsorganisation Caritas international zeigte sich “vorsichtig hoffnungsvoll”, dass nun ein echter Neuanfang in Syrien möglich ist. Neben einem raschen Wiederaufbau mit internationaler Hilfe seien der Schutz der Menschenrechte und die Sicherheit der Bevölkerung entscheidend, erklärte Caritas international in Freiburg. “Nach dem Fall des Assad-Regimes hoffen wir, endlich Zugang zu allen Regionen Syriens zu erhalten, um die dringend benötigten Hilfen auszuweiten”, sagte der Leiter von Caritas international, Oliver Müller, der KNA.
Unterdessen äußerte sich der Botschafter des Papstes in Syrien erleichtert über den bislang weitgehend friedlichen Machtwechsel in dem Land. Im Gespräch mit Vatican News richtete Kardinal Mario Zenari einen eindringlichen Appell an die internationale Gemeinschaft, die Sanktionen gegen das Land aufzuheben, um den Wiederaufbau zu ermöglichen. “Der einzige Weg zu einem stabilen Syrien ist Versöhnung. Nur durch Dialog und Zusammenarbeit aller ethnischen und religiösen Gruppen können wir die Wunden des Bürgerkriegs heilen.” Er appellierte an die neuen Machthaber, ihre Versprechen einzuhalten.