Der Münsteraner Kirchenrechtler Thomas Schüller beobachtet einen abnehmenden politischen Einfluss der Kirchen in Deutschland. „Bis zur Merkel-Zeit galten die Kirchen als wahlwichtig, weil sie einen großen Teil der Bevölkerung abbildeten“, sagte er dem Evangelischen Pressedienst (epd). „Da hat man schon darauf geachtet, die Meinung der Kirche einzubeziehen.“ Als Beispiel nannte Schüller den Kompromiss zu Schwangerschaftsabbrüchen, an dem die Kirchen maßgeblich mitgewirkt hätten.
Die jetzige Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne) habe dagegen in die Kommission zur Prüfung, ob Abtreibungen künftig auch außerhalb des Strafrechts geregelt werden können, nicht einmal mehr Kirchenvertreter eingeladen, erklärte der Professor für kanonisches Recht. „Auf der Ebene der Kommunen und der Länder will man hingegen mit den verlässlichen Partnern nicht brechen.“ Das führe zu einer ambivalenten Situation.
Schüller plädierte für eine stärkere Trennung von Kirche und Staat sowie Diversität bei den freien Trägern der Sozialfürsorge, „um der wachsenden weltanschaulichen Pluralität in unserer Gesellschaft Rechnung zu tragen“. Zugleich räumte er ein, dass Lücken nur schwerlich gefüllt werden könnten, die Kirchen als soziale Träger hinterlassen: Es gebe kaum Vereine, Weltanschauungsgemeinschaften oder private Initiativen, die finanziell zuverlässig in der Lage seien, die Verantwortung etwa für eine Kindertagesstätte oder eine Schule zu übernehmen. „Deswegen sind die Bundesländer ja auch froh, wenn sie die Kirchen als Kooperationspartner behalten können.“
Den Kirchen prophezeit Schüller, dass ihnen im Jahr 2030 noch 35 bis 40 Prozent der Deutschen angehören werden. Daher sollten sie viel stärker ökumenisch zusammenarbeiten, „etwa indem man sich ein Kirchengebäude teilt“. Die Kirchen dürften auch keine Angst davor haben, Einrichtungen wie Kitas und Altenheime aufzugeben: „Der Staat wird dann auch sehen, was evangelische und katholische Kirchenmitglieder ehrenamtlich leisten, was staatliche Akteure nur mit hauptamtlichen Mitarbeitern hinkriegen, die aus Steuermitteln bezahlt werden.“