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Kirchenpräsident Jung: Manche Kritik ging unter die Haut

Der scheidende hessen-nassauische Kirchenpräsident Volker Jung musste während seiner 16-jährigen Amtszeit auch Kritik einstecken, vor allem wegen seiner Forderung zur Aufnahme von Flüchtlingen und der Trauung gleichgeschlechtlicher Paare. Sachliche Kritik sei in Ordnung gewesen, schwierig hingegen hasserfüllte Reaktionen, sagt er rückblickend. Gefreut hat er sich über das Privileg, vor vollen Kirchen predigen zu dürfen.

epd: Herr Jung, Sie blicken zurück auf 16 Jahre im Amt. Woran werden Sie sich gerne erinnern?

Volker Jung: Ich erinnere mich an viele tolle Begegnungen mit großartigen Menschen und hoffe, dass der eine oder andere Kontakt auch bleibt. Und ich erinnere mich an viele schöne Gottesdienste. Als Kirchenpräsident hatte ich das Privileg, oft vor vollbesetzten Kirchen zu predigen. Es hat mich gestärkt zu spüren, dass bei denen, die kommen, nach wie vor ein großes Interesse vorhanden ist.

epd: Was wird Ihnen fehlen?

Jung: Fehlen wird mir sicher die Vielfalt der täglichen Herausforderungen, die mitunter auch mit Anerkennung verbunden sind. Den Bedeutungsverlust fürchte ich nicht, denn die Bedeutung versetzt oft auch in Anspannung und lässt einen manchmal unruhig schlafen.

epd: Sie mussten in Ihrer Amtszeit auch Kritik einstecken. Wie heftig war sie, und wie sind Sie damit umgegangen?

Jung: Die Kritik hat sich besonders auf drei Bereiche zugespitzt: die Forderung nach der Aufnahme von geflüchteten Menschen, die Trauung gleichgeschlechtlicher Paare und das Familienpapier der Evangelischen Kirche in Deutschland, an dem ich beteiligt war. Darin ging es um einen erweiterten Familienbegriff, um Toleranz und die Akzeptanz von Minderheiten. Auch für das Werben für den interreligiösen Dialog, insbesondere mit Musliminnen und Muslimen, bin ich angegriffen worden.

Mit sachlicher Kritik konnte ich immer gut umgehen. Schwierig waren die sehr persönlichen und hasserfüllten Reaktionen, etwa Briefe, in denen mit Bibelstellen garniert stand, dass ich in die Hölle gehöre. Das ging unter die Haut.

epd: Sie haben sich auch sehr deutlich gegen Rechtsextremismus positioniert. Wie waren darauf die Reaktionen?

Jung: Unterschiedlich. Viele haben mir gesagt, dass sie das erwarten, einige haben sich die Formulierungen noch schärfer gewünscht, und wieder andere konnten die Haltung gar nicht verstehen. Im Moment höre ich häufiger, dass Menschen den prinzipiellen Ausschluss irgendeiner Partei durch die Kirche ablehnen und die Kirche auf das Geistliche reduzieren wollen. Ihnen sage ich, dass wir uns niemandem pauschal verschließen, aber uns zu Wort melden, wenn politische Positionen nicht mit dem vereinbar sind, wofür wir als Christinnen und Christen stehen.

epd: Wie wichtig war es Ihnen, diese politische Haltung nach außen zu tragen?

Jung: Mir liegt daran, deutlich zu machen, dass Glauben eine Lebensrelevanz hat, und zwar für das persönliche Leben und für das Zusammenleben. Empathie für geflüchtete Menschen beispielsweise hängt mit der Glaubensbotschaft zusammen. Man kann dann eigentlich nicht unpolitisch sein.

epd: Was hätten Sie im Rückblick anders gemacht?

Jung: Der Vorwurf, wir seien als Kirche während der Corona-Pandemie zu still gewesen, hat mich sehr getroffen. Es gab diese schwierige Phase, als Krankenhäuser und Pflegeeinrichtungen dichtgemacht und auch Seelsorgerinnen und Seelsorgern zum Teil den Zugang zu Menschen verwehrt haben. Wir haben ihnen gesagt: „Meldet euch bitte, wenn ihr irgendwo nicht reinkommt.“ Die Reaktionen darauf waren verhalten. Hier wäre, denke ich heute, noch mal die lautere Forderung möglich gewesen, dass der Zugang für die seelsorgerliche Begleitung der Menschen nicht verschlossen werden darf.

epd: Kritiker sprachen von einer staatshörigen Kirche.

Jung: Unsere oberste Maxime damals war es, Leben zu schützen. Wir sind mit den staatlichen Maßnahmen mitgegangen, weil wir davon ausgegangen sind, dass sie unter wissenschaftlicher Beratung erfolgen. Mit irgendeiner Staatshörigkeit hatte das nichts zu tun.

Einige Menschen werfen uns auch vor, wir hätten die Gottesdienste verbieten lassen. Aber es gab nie ein Gottesdienstverbot, es gab nur ein zeitweises Verbot für Präsenzgottesdienste. Wir haben stattdessen die Fernsehgottesdienste intensiv genutzt. Und es wurden neue digitale Formate entwickelt, bis hin zum Abendmahl, was vorher völlig undenkbar gewesen wäre.

epd: Sie gehen zurück in den Vogelsberg, woher Sie und Ihre Frau stammen und wo Sie Pfarrer und Dekan waren. Was bedeutet Ihnen Heimat?

Jung: Wir haben nie die Verbindung zu Freunden abreißen lassen, es gibt ganz starke Wurzeln — das ist Heimat. Mitentscheidend war auch, dass wir beide dort hochaltrige Elternteile haben, um die wir uns seit zwei Jahren verstärkt kümmern.

epd: Wie werden die Tage des Ruheständlers Volker Jung ab 1. Januar aussehen?

Jung: Im Januar muss ich das Büro und das Wohnhaus ausräumen. Umzugstermin ist Anfang Februar, da wird es ein bisschen was zu tun geben.

Künftig möchte ich wieder mehr Sport treiben. Ich laufe zwei- bis dreimal die Woche und hoffe, dass es zum täglichen Programm wird. Es wird bestimmt auch Schreibtisch-Zeiten geben, in denen ich vielleicht das ein oder andere zu Papier bringe. Das ist aber noch sehr unbestimmt. Und dann wird es natürlich auch mehr Zeit für die Familie geben, wir erwarten unser drittes Enkelkind im Februar.