Von Jürgen WerbickEin Wunschtraum? Oder ein Albtraum? Je nachdem, wo man lebt. Er darf, so der Papst, kein folgenloser Traum sein und sollte die Kirche in ihrer Praxis und bis in ihre Strukturen verändern, damit sie eine Kirche wird, die etwas von der Freude des Evangeliums – „Evangelii gaudium“, so die Anfangsworte seiner „Regierungserklärung“, die er am vergangenen Dienstag im Vatikan vorstellte – ausstrahlt.
Eine Kirche, die Freude macht, wäre etwas Neues in Zeiten des kirchlichen Missmuts und Überdrusses. Anders kann es nur werden, wenn „Kirchenmenschen“ und Kirchen sich mit Freude der Sendung zuwenden, die ihren Daseins-Sinn ausmacht. Wenn ihnen erkennbar Freude machen würde, sich mit dem zu identifizieren, wofür Kirchen da sind.
Der Papst markiert einfach und eindringlich, wie das sein müsste. Die Kirche – er spricht von der römisch-katholischen – ist dafür da, den Menschen Gottes guten Willen zu verkünden und ihnen eine Ahnung davon zu vermitteln, wie der sich anfühlt. Franziskus bleibt nicht im Ungefähren: Kirche hat das Evangelium als Gegenentwurf zu Kulturen, zu einer Wirtschaftsordnung und zu einer Kirche zu leben, die von Exklusion (Ausschluss) geprägt sind. Dass Menschen ausgeschlossen werden aus der Teilhabe an Lebens- und Kommunikationsmöglichkeiten, nicht einmal als Konsumenten Gewicht haben, sich nicht einbringen können und keine Wertschätzung erfahren, geradezu als Müll angesehen werden: gegen diese entwürdigende Welt- und Wirtschaftsordnung hat Kirche ihr Zeugnis zu leben. Es ist das Zeugnis für einen Gott, der kein Menschenleben verloren gibt und jeden Menschen teilhaben lässt an seinem göttlichen Leben.
Eine Kirche, die selbst Exklusion betreibt, Armen, Diskreditierten, aber auch Frauen und Laien die Mitwirkung an der kirchlichen Sendung beschneidet und wiederverheiratete Geschiedene vom Eucharistieempfang ausschließt, hintertreibt ihre missionarische Sendung. Der Papst macht das schonungslos deutlich und plädiert für eine Kirche mit offenen Türen, die hereinbittet, wer immer auf Barmherzigkeit angewiesen ist und in seiner Not nach Aufmerksamkeit sucht; für eine Kirche, deren Mitglieder hinausgehen bis an die „Ränder“ der Gesellschaft.
Bedient der Papst mit seiner Exklusionskritik nur den antikapitalistischen Zeitgeist? Hätte er für eine Reform mit Augenmaß plädieren sollen? Wer Exklusion brutal und massenhaft erlebt hat und nun die Marginalisierung der Fremden in Europa sieht, wie sie an den Rand gedrängt werden, der wird mit einer zögerlichen Optimierung des marktkapitalistischen Systems nicht so viele Hoffnungen verbinden.
Aber bleibt die Exklusionskritik des Papstes nicht auf halbem Weg stecken, wenn es um die Kirche geht? Seine Vision ist so stark, dass sie eine Eigendynamik entfalten wird, vor der auch die Betonfraktion in Rom und anderswo nicht sicher ist. Ob diese Eigendynamik selbstzufriedenen intellektuellen Kritikern des Systems in Kirche und Welt immer Freude machen wird? Sie wird es ihnen schwerer machen, sich in Alibi-Idealisierungen hineinzuträumen und weiterhin ihre Privilegien zu genießen.