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Kirche bremste Wahlrecht der Frauen

Im Januar 2019 jährt sich zum 100. Mal die erste Wahl, bei der Frauen ihre Stimme abgeben durften. An der Abstimmung über die verfassunggebende Nationalversammlung am 19. Januar 1919 beteiligten sich 82 Prozent der Wählerinnen. Die Kirche war dagegen. Am 12. November 1918 war das Frauenwahlrecht eingeführt worden. Irmgard Schwaetzer, Präses der EKD-Synode, erklärt, inwiefern die Kirche noch lange einen emanzipatorischen Bremsklotz darstellte und wirft einen kritischen Blick auf die gegenwärtige Lage. Haben die alten Rollenbilder endlich ausgedient?

Im Januar 2019 jährt sich zum 100. Mal die erste Wahl, bei der Frauen ihre Stimme abgeben durften. An der Abstimmung über die verfassunggebende Nationalversammlung am 19. Januar 1919 beteiligten sich 82 Prozent der Wählerinnen. Die Kirche war dagegen. Am 12. November 1918 war das Frauenwahlrecht eingeführt worden. Ein Meilenstein. Wo stehen wir heute?

Von Irmgard Schwaetzer

Das Frauenwahlrecht war ein wirklich epochaler Fortschritt für die Frauenrechte. Bei der Einführung hat sich die evangelische Kirche eher als Bremse denn als Förderin der Demokratie gezeigt. Als 1919 zum ersten Mal auch Frauen zur Wahl der verfassunggebenden Nationalversammlung aufgerufen waren und kandidieren konnten, wurde dies von der evangelischen Kirche nicht befürwortet. Von den meisten evangelischen Frauen wurde dieses Recht aber selbstverständlich in Anspruch genommen. Die Wahlbeteiligung der Frauen lag über 80 Prozent. Erst als nach der Aufhebung des landesherrlichen Kirchenregiments neue Kirchenverfassungen notwendig wurden, verankerte auf Initiative evangelischer Frauenorganisationen die große Mehrheit der damals über 30 Landeskirchen zwischen 1919 und 1924 das aktive und passive Wahlrecht für Männer und Frauen in ihren Kirchenverfassungen – so auch die Kirchen in Berlin, Brandenburg und Sachsen. 1967 führte auch die letzte Landeskirche das passive Frauenwahlrecht ein. Die Auseinandersetzung über eine Mitentscheidung von Frauen in den Gemeinden war allerdings in den Kirchenleitungen und in den Synoden zum Teil heftig. Dem Hinweis der Bremser auf eine „natürliche Schöpfungsordnung“, nach der die Frau dem Manne untertan sei, und auf das „Paulinische Schweigegebot“ der Frau in der Gemeindeversammlung nach 1. Korinther 14 stellten die Befürworter den „christlichen Geist der Liebe, der Freiheit und der Gerechtigkeit“ und Galater 3,28 entgegen: „Hier ist nicht Jude noch Grieche, hier ist nicht Sklave noch Freier, hier ist nicht Mann noch Frau, denn ihr seid allesamt einer in Jesus Christus.“Und heute? Am besten sieht noch die Beteiligung von Frauen in den Synoden aus: Den höchsten Frauenanteil weist die EKD-Synode mit 47,8 Prozent aus. In sechs Landessynoden arbeiten mehr als 40 Prozent Frauen mit, elf Landessynoden weisen zwischen 30 und 40 Prozent und drei Landeskirchen unter 30 Prozent aus. In der Synode der EKBO arbeiten 34,2 Prozent weibliche Synodale mit – etwas weniger als in der vorigen Wahlperiode. Sechs von 20 Landessynoden und die EKD-Synode werden von Frauen geleitet.Auch nach 100 Jahren gibt es Bedarf an Klärung der Rolle der ehrenamtlich tätigen Frauen. Eine gleichberechtigte Teilhabe an den verantwortlichen Positionen in der Gemeinde und an der Leitung der Kirche ist heute längst nicht überall verwirklicht. Dabei entspricht die ehrenamtliche Tätigkeit auf Augenhöhe der Qualifikation ganz vieler Frauen im kirchlichen Engagement. Und die gleichberechtigte Teilhabe ist entscheidend für die Zukunft der kleiner werdenden Kirche – sowohl in den ländlichen Gebieten wie in den Ballungszentren.Wirklich unbefriedigend ist die Repräsentanz von Frauen in den bischöflichen Ämtern und der mittleren Führungsebene. Nur zwei von zwanzig Landeskirchen werden von Frauen geleitet und nur etwa 20 Prozent der Kirchenkreise oder Dekanate. Die EKD-Synode hat die Ursachen dafür untersuchen lassen. Dabei wurde deutlich, dass die Vereinbarkeit von Familie und Pfarramt nach wie vor sehr schwierig ist und dass in den Landeskirchen auf die Gestaltung eines familienfreundlichen Umfeldes häufig wenig geachtet wird. Es wurde aber auch deutlich, dass die alten Rollenbilder häufig noch nicht ausgedient haben, sondern vor allem im Unterbewussten Entscheidungen beeinflussen, sowohl bei Frauen, die zur Kandidatur aufgefordert werden, als auch und vor allem in den Gremien, die Wahlvorschläge aufstellen. Es liegt noch ein weiter Weg bis zur Verwirklichung von Chancengleichheit für Frauen in der evangelischen Kirche vor uns.

Anmerkung: Die angegebenen Zahlen stammen aus der Veröffentlichung des Studienzentrums der EKD für Genderfragen mit dem Titel: „Frauenwahlrecht in der Kirche – Ergänzungsband 2 zum Atlas zur Gleichstellung von Frauen und Männern in der evangelischen Kirche in Deutschland“. Der Band erscheint am 17. Januar und ist erhältlich beim Genderzentrum der EKD. E-Mail: info@sfg.ekd.de oder Telefon (0511) 554 74 134.

Barrierefreies PDF: www.gender-ekd.de