Sein Thema sind besonders Migration und das Zusammenleben im Mittelmeerraum. Franziskus hat ihn sehr geschätzt. Nun hat Jean-Marc Aveline den Staffelstab der Französischen Bischofskonferenz übernommen.
Von manchen wurde er sogar als papabel angesehen. Doch wie man inzwischen weiß, hat ein anderer auf dem Stuhl Petri Platz genommen: Leo XIV. Dafür übernimmt Kardinal Jean-Marc Aveline, Erzbischof von Marseille, nun einen anderen Staffelstab: Ab Dienstag (1. Juli) ist der 66-jährige auch Vorsitzender der Französischen Bischofskonferenz.
Aveline galt schon vor seiner Wahl im April als aussichtsreichster Kandidat für den Posten im Pariser Generalsekretariat, zwischen Invalidendom, Militärschule und Tour Montparnasse gelegen. Er folgt dort auf den Erzbischof von Reims, Éric de Moulins-Beaufort, der seit 2019 für zwei mal drei Jahre amtierte.
Für den verstorbenen Papst verkörperte der 1958 in Algerien geborene Aveline offenbar den Bischof des Mittelmeeres. 2022 nahm er ihn ins Kardinalskollegium auf und besuchte ihn im September 2023 in Marseille. Aveline hat fast seine ganze Kindheit und Jugend in dieser Stadt verbracht und ist seit 1984 dort Priester. 2008 bis 2013 war er Berater des Päpstlichen Rates für den interreligiösen Dialog. Von 2014 bis 2019 war er Weihbischof, seither Erzbischof von Marseille.
Aveline war der einzige der fünf Franzosen im Konklave, der eine große Diözese leitet. Als Erzbischof einer großen Hafenstadt am Mittelmeer ist er mit dem Thema Migration vertraut – und auch mit ihren Schattenseiten und der wachsenden Welle national-populistischer Reaktionen darauf.
Frankreichs älteste und zugleich zweitgrößte Stadt hat einen enormen Migrationsanteil. 90 Prozent der heutigen Stadtbevölkerung haben Vorfahren, die nicht aus Frankreich stammen. Ein Ruf verbreiteter Gesetzlosigkeit eilt Marseille voraus. Doch “Massilia”, einst Gründung griechischer Seefahrer und 2013 Europas Kulturhauptstadt, hat sich gemausert, hat an einem Image als Stadt mit Charme gearbeitet.
Das Tor zur Welt – und größter Hafen des Mittelmeeres – ist der Hochseehafen “Marseille Europort”. Solche Symbolik suchte Papst Franziskus mit seinem Besuch 2023. Und auch Aveline versteht diese Karte in der bewegten Welt unserer Tage zu spielen. Heute wollten viele die historische Erinnerung an das friedliche und fruchtbare Zusammenleben im Mittelmeerraum ausradieren, sagt er; und stattdessen eine Furcht vor dem je anderen und ihre eigene Ideologie durchsetzen. Doch, so Aveline: “Wir stehen dafür, dass allen realen Bedrohungen zum Trotz auch das Gute am Werk ist.”
Die Kirche in Frankreich zählt zu den traditionsreichsten und geistesgeschichtlich wichtigsten in Europa. Noch jeder zweite der etwa 67 Millionen Einwohner Frankreichs bezeichnet sich heute als katholisch. Allerdings ist die Zahl der praktizierenden Katholiken, der Priester und der Ordensleute seit Jahrzehnten stark rückläufig. Dazu hat die Kirche in Frankreich stark mit den Nachwirkungen der Missbrauchsskandale zu kämpfen.
In Fragen von Ethik, Familie und Politik mussten die Bischöfe zuletzt immer wieder Niederlagen einstecken; so etwa bei der “Homo-Ehe”, bei künstlicher Befruchtung, der Liberalisierung von Abtreibung oder jüngst zu aktiver Sterbehilfe. Immerhin war zuletzt ein starker Anstieg bei katholischen Erwachsenentaufen zu verzeichnen.
Der Marseiller Erzbischof äußert sich besorgt über Brüche in Frankreichs und in Europas Gesellschaft. Es sei inzwischen schwierig geworden, ohne Beschimpfungen zu debattieren. Auch Stimmenthaltungen bei den Wahlen zuletzt zeugten von mangelndem Vertrauen in die Politik und ihre Akteure. Sein Land, Frankreich, brauche aber Engagement und Hoffnung.
Man darf vielleicht unterstellen, dass er auch Europa mit meint, wenn er sagt, Frankreich habe zu große Zweifel an sich selbst; an dem, womit es in seiner langen Geschichte beschenkt worden sei und was anderen nützlich sein könnte. Dadurch fehle “im aktuellen Konzert der Nationen der Ton Frankreichs”, weil es sich seiner selbst nicht mehr sicher genug sei.
Das Erbe des verstorbenen Franziskus nannte Aveline kurz vor dem Konklave in Rom auf Französisch “immense” – also riesenhaft, unermesslich. Und auch wenn er nicht in die ganz großen Schuhe des Fischers treten musste – auch mit seinen Ämtern in Frankreich kann der Kardinal Aveline noch eine Menge im Sinne von Franziskus ausrichten.