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Ist das Stadion die wahre Kirche?

Foto: Arne List/flickr.com/CC Fans falten die Hände, blicken nach oben in den Himmel – möge der Elfmeter doch im gegnerischen Tor versenkt werden oder am eigenen vorbeigehen. Stoßgebete für den Sieg der eigenen Mannschaft, religiös anmutende Rituale und reihenweise Fußballgötter. Ist das Stadion die wahre Kirche? Von Marcel Reif Nein, das Stadion ist nicht die wahre Kirche, tatsächlich sollten wir die Kirche im Dorf lassen. Und ernsthaft: Auch den Fußballgott, den ich zuweilen in meinen Reportagen erwähnt habe, gibt es so nicht. Solche Begriffe habe ich dann genutzt, wenn ich mir Dinge auf dem Rasen nicht erklären konnte – aber bitte immer mit Augenzwinkern.In der Kirche geht es auch nicht immer ruhig und „gesittet“ zu. Ich habe Bilder von Kirchentagen gesehen und war als Journalist selbst dort – wenn Sie junge Menschen sehen, wie sie ihren Glauben feiern, so sind da große Emotionen im Spiel. Auch wenn es in diesen Momenten kein Stadion gibt. Ich persönlich mag nicht krampfhaft irgendwelche Brücken zwischen Glauben und Fußball schlagen, wo es gar keine Brücken braucht. Im Gegenteil, ich habe immer dann ein Problem, wenn ich merke, Menschen nehmen den Sport, speziell den Fußball, zu ernst. Der erhält dann eine religiöse Überhöhung, wird möglicherweise zum einzigen Lebenssinn und Lebenszweck, das ist mir zu viel. Da geht mir das Kindliche, die schönste Nebensache der Welt sozusagen, verloren. Und so verorte ich auch Glauben woanders, nicht in einem Stadion. Dort gehen Emotionen stark nach außen, die Fans toben laut, sie grölen und jubeln. Glaube geht tiefer. Auch die Seele soll tiefer sitzen, sagt man mir. Wenn Spitzensportler ihre Kraft aus dem Glauben holen – sie wollen immerhin Spitzenleistungen erzielen – finde ich das großartig. Als ich gemeinsam mit meinem Freund Béla Réthy beim ZDF gearbeitet habe, hat sich folgendes zugetragen. Béla wollte nach einem Fußballspiel den Brasilianer Georginio, der für Bayer 04 Leverkusen spielte, ins Sportstudio einladen. Georginio antwortete darauf: „Du, Béla, heute kann ich nicht, habe Bibelstunde mit Heiko Herrlich.“ Herrlich, ein sehr gläubiger Mensch, spielte damals ebenfalls in Leverkusen und ist heute Trainer in Regensburg. Mir ist das nicht gegeben, ich beziehe Kraft und Stärke aus meinem Inneren. Ob ich in einigen Fällen bete, und wenn ja, wohin, kann ich nicht genau sagen. Aber dass es in mir Dinge gibt, aus denen ich Stärke beziehe, halte ich für selbstverständlich. Das ist etwas, was über den ganzen Radau im Stadion weit hinausgeht. Dennoch gehört auch die Heldenverehrung im Sport bis zu einem gewissen Grad dazu, das macht den Zirkus aus, sonst funktioniert er nicht. Verehrung bis zum Idol – von mir aus. Ein Sportler kann jedoch nicht Gott gleich sein, bitte, das ist mir zu viel. Von dem, der Gottgleichheit erwartet und schon allemal von dem, der sie leisten soll. Wahrscheinlich hat sich beispielsweise Diego Maradona mit seiner „Hand Gottes“ im Ausdruck vergriffen. Dass er es zur Fußball-Weltmeisterschaft 1986 nach dem Spiel England gegen Argentinien tatsächlich so gemeint hat, glaube ich nicht. Es gibt noch eine Geschichte, über Zlatan Ibrahimovic´, einem brillanten Fußballer, der auch zur Selbstironie fähig ist. Als Ibrahimovic´ einst neu nach Paris kam, ging er zu seinem Trainer Carlo Ancelotti (jetzt in München) und fragte: „Trainer, glauben Sie an Gott?“ Ancelotti bejahte, worauf Ibrahimovic´ meinte: „Er steht vor Ihnen.“ Solange wir über solche Geschichten schmunzeln können, ist alles gut. Was darüber hinausgeht, ist zu viel. Marcel Reif ist Journalist und hat bis zur vergangenen Saison auf Sky Bundesliga-Fußballspiele kommentiert. Mit dem Auftaktspiel am kommenden Freitag beginnt das, worauf Jung und Alt schon seit Monaten hinfiebern: die Fußball-EM 2016. In der aktuellen Ausgabe von “die Kirche” dreht sich alles um das Runde auf dem Weg ins Eckige. Denn wo gehofft, gekämpft und gezittert wird, ist der Glaube oft nicht weit. Auf Tribünen und in Kabinen werden Hände gefaltet. Für den Sieg der eigenen Mannschaft wird gebetet. Jede Seite möchte Gott als zwölften Mann mit aufs Spielfeld schicken. Doch passt er in ein Trikot? Will er überhaupt eines tragen? Ausgabe kaufen

Foto: Arne List/flickr.com/CC

Fans falten die Hände, blicken nach oben in den Himmel – möge der Elfmeter doch im gegnerischen Tor versenkt werden oder am eigenen vorbeigehen. Stoßgebete für den Sieg der eigenen Mannschaft, religiös anmutende Rituale und reihenweise Fußballgötter. Ist das Stadion die wahre Kirche?

Von Marcel Reif

Nein, das Stadion ist nicht die wahre Kirche, tatsächlich sollten wir die Kirche im Dorf lassen. Und ernsthaft: Auch den Fußballgott, den ich zuweilen in meinen Reportagen erwähnt habe, gibt es so nicht. Solche Begriffe habe ich dann genutzt, wenn ich mir Dinge auf dem Rasen nicht erklären konnte – aber bitte immer mit Augenzwinkern.In der Kirche geht es auch nicht immer ruhig und „gesittet“ zu. Ich habe Bilder von Kirchentagen gesehen und war als Journalist selbst dort – wenn Sie junge Menschen sehen, wie sie ihren Glauben feiern, so sind da große Emotionen im Spiel. Auch wenn es in diesen Momenten kein Stadion gibt.

Ich persönlich mag nicht krampfhaft irgendwelche Brücken zwischen Glauben und Fußball schlagen, wo es gar keine Brücken braucht. Im Gegenteil, ich habe immer dann ein Problem, wenn ich merke, Menschen nehmen den Sport, speziell den Fußball, zu ernst. Der erhält dann eine religiöse Überhöhung, wird möglicherweise zum einzigen Lebenssinn und Lebenszweck, das ist mir zu viel. Da geht mir das Kindliche, die schönste Nebensache der Welt sozusagen, verloren.

Und so verorte ich auch Glauben woanders, nicht in einem Stadion. Dort gehen Emotionen stark nach außen, die Fans toben laut, sie grölen und jubeln. Glaube geht tiefer. Auch die Seele soll tiefer sitzen, sagt man mir. Wenn Spitzensportler ihre Kraft aus dem Glauben holen – sie wollen immerhin Spitzenleistungen erzielen – finde ich das großartig.

Als ich gemeinsam mit meinem Freund Béla Réthy beim ZDF gearbeitet habe, hat sich folgendes zugetragen. Béla wollte nach einem Fußballspiel den Brasilianer Georginio, der für Bayer 04 Leverkusen spielte, ins Sportstudio einladen. Georginio antwortete darauf: „Du, Béla, heute kann ich nicht, habe Bibelstunde mit Heiko Herrlich.“ Herrlich, ein sehr gläubiger Mensch, spielte damals ebenfalls in Leverkusen und ist heute Trainer in Regensburg.

Mir ist das nicht gegeben, ich beziehe Kraft und Stärke aus meinem Inneren. Ob ich in einigen Fällen bete, und wenn ja, wohin, kann ich nicht genau sagen. Aber dass es in mir Dinge gibt, aus denen ich Stärke beziehe, halte ich für selbstverständlich. Das ist etwas, was über den ganzen Radau im Stadion weit hinausgeht. Dennoch gehört auch die Heldenverehrung im Sport bis zu einem gewissen Grad dazu, das macht den Zirkus aus, sonst funktioniert er nicht.

Verehrung bis zum Idol – von mir aus. Ein Sportler kann jedoch nicht Gott gleich sein, bitte, das ist mir zu viel. Von dem, der Gottgleichheit erwartet und schon allemal von dem, der sie leisten soll. Wahrscheinlich hat sich beispielsweise Diego Maradona mit seiner „Hand Gottes“ im Ausdruck vergriffen. Dass er es zur Fußball-Weltmeisterschaft 1986 nach dem Spiel England gegen Argentinien tatsächlich so gemeint hat, glaube ich nicht.

Es gibt noch eine Geschichte, über Zlatan Ibrahimovic´, einem brillanten Fußballer, der auch zur Selbstironie fähig ist. Als Ibrahimovic´ einst neu nach Paris kam, ging er zu seinem Trainer Carlo Ancelotti (jetzt in München) und fragte: „Trainer, glauben Sie an Gott?“ Ancelotti bejahte, worauf Ibrahimovic´ meinte: „Er steht vor Ihnen.“ Solange wir über solche Geschichten schmunzeln können, ist alles gut. Was darüber hinausgeht, ist zu viel.

Marcel Reif ist Journalist und hat bis zur vergangenen Saison auf Sky Bundesliga-Fußballspiele kommentiert.

Mit dem Auftaktspiel am kommenden Freitag beginnt das, worauf Jung und Alt schon seit Monaten hinfiebern: die Fußball-EM 2016. In der aktuellen Ausgabe von “die Kirche” dreht sich alles um das Runde auf dem Weg ins Eckige. Denn wo gehofft, gekämpft und gezittert wird, ist der Glaube oft nicht weit. Auf Tribünen und in Kabinen werden Hände gefaltet. Für den Sieg der eigenen Mannschaft wird gebetet. Jede Seite möchte Gott als zwölften Mann mit aufs Spielfeld schicken. Doch passt er in ein Trikot? Will er überhaupt eines tragen?

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