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“Internetpatron” Carlo Acutis wird nach Ostern heiliggesprochen

Ein Junge stirbt mit 15 an Leukämie. Nun wird Carlo Acutis heiliggesprochen, weil er fromm und sozial engagiert war. Neben Begeisterung löst die frühe Ehrung auch Kritik aus; sogar wegen angeblichem Antisemitismus.

Etwas schüchtern lächelt der braungelockte Junge im roten Polohemd in die Kamera, über den Schultern trägt er einen Rucksack. Carlo Acutis, der 2006 mit nur 15 Jahren an Leukämie starb, war ein ganz normaler Jugendlicher, “einer von uns”, so die Botschaft der zahllosen Bilder, die derzeit von dem Italiener kursieren. Von der katholischen Kirche wird er demnächst zum Vorbild für Gläubige weltweit erhoben. Denn er war nicht nur fromm und wohltätig, sondern setzte sein Talent für den Glauben ein.

Die Heiligsprechung des “Internetapostels” und ersten Millennial am Sonntag nach Ostern (27. April) soll ein Höhepunkt im Heiligen Jahr werden. Sie findet beim Heilig-Jahr-Treffen für Teenager statt, für das mehr als 80.000 junge Leute aus aller Welt angemeldet sind. Viele “GenZs” kommen als Fans des ersten Heiligen der “Generation Y” nach Rom.

Doch der Hype um Carlo Acutis nimmt Züge an, die im 21. Jahrhundert ungewöhnlich wirken – spätestens seit seiner Seligsprechung, die bereits im Oktober 2020 in Assisi stattfand. Den gläsernen Sarg in der Kirche Santa Maria Maggiore in Assisi, in dem der Junge in Trainingsjacke, Jeans und Turnschuhen zu sehen ist, besuchten im vergangenen Jahr eine Million Pilger, so Bischof Domenico Sorrentino von Assisi. Man kann den Glassarg in einem 24-Stunden-Livestream beobachten. In einer Kirche in Rom sind ein Splitter seines Betts, ein Stück eines Pullovers und des Lakens, mit dem er nach seinem Tod bedeckt war, ausgestellt.

Sein Herz, das in einem kostbaren Reliquienschrein aufbewahrt wird, ging 2024 auf Europatour. Auch im deutschsprachigen Raum kamen viele junge Menschen in die Kirchen, um sich mit dem Herz des “Cyberapostels” fotografieren zu lassen. Biografien, Filme und Dokus erzählen die Geschichte des Sohnes wohlhabender italienischer Eltern.

Was über ihn bekannt ist, stammt meist von seiner Mutter Antonia Salzano, die sich gemeinsam mit hochrangigen Geistlichen intensiv für die ungewöhnlich rasche kirchliche Ehrung ihres Sohnes engagierte. Dazu hatte der Vatikan seine tugendhafte Lebensweise sowie zwei Wunder anerkannt: medizinisch unerklärliche Heilungen von zwei Menschen, die nach Überzeugung der Kirche auf die Fürsprache des Verstorbenen bei Gott erfolgten.

Schule, Freizeit, Sport: Carlo, der normale Junge, der Karate, Tennis, Skifahren und vieles andere ausprobierte. Und schon als kleines Kind begeisterte er sich für die Eucharistie, wollte jeden Tag zur Messe gehen, um mit Jesus vereint zu sein. Die Eucharistie sei seine “Autobahn zu Gott”, so ein beliebtes Zitat des Jungen. Mit seinem Taschengeld habe er Schlafsäcke und Essen für bedürftige Menschen gekauft. Sein Talent im Umgang mit dem Internet nutzte er für seine Heimatgemeinde in Mailand; und auch, um eine Website mit eucharistischen Wundern zu erstellen. Und hier sehen Kritiker ein Problem.

108 solcher Fälle recherchierte Acutis im Netz und stellte sie als “Liste der Eucharistischen Wunder in der Welt” auf eine bis heute abrufbare Website. Dabei handelt es sich meistens um “Hostienwunder”, also um Erscheinungen an geweihten Hostien, die vor allem ab dem 11. Jahrhundert auftauchen. Ein heikles Thema, denn zumeist ging solchen Wundern ein “Hostienfrevel” voraus – bei dem oft Juden als angebliche Täter beschuldigt wurden.

Dass ein religiös begeisterter Teenager sich das Thema in offenbar naiver Weise vornimmt, mag man ihm nicht ankreiden. Aber Kritik an der Kirche kommt vom Beauftragten der Bundesregierung gegen Antisemitismus, Felix Klein: “Ich bemängele, dass es bei dem Verfahren auf dem Weg zur Heiligsprechung keine Rolle gespielt zu haben scheint, dass einige der eucharistischen Wunder zur Ermordung von Juden geführt haben”, sagte Klein der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA).

Einige der von Acutis aufgeführten Wunder hätten sich um Bluthostien gedreht, mit denen damals Ritualmordvorwürfe gegen Juden einhergingen – denen wiederum tödliche Angriffe auf sie folgten. Es sei “dringend geboten”, dass dieser Aspekt von der katholischen Kirche nicht erst auf Nachfrage aufgearbeitet werde.

Zur großen Feier am Weißen Sonntag auf dem Petersplatz wird eine Rekordzahl an jungen Menschen erwartet. Es ist eine der seltenen Heiligsprechungen für eine Einzelperson. Selbst die Päpste Johannes Paul II. und Johannes XXIII. wurden 2014 gemeinsam zur Ehre der Altäre erhoben. Die letzte Einzelheiligsprechung gab es im Februar 2024 für die argentinische Wander-Missionarin Maria Antonia de San Jose de Paz y Figueroa, genannt “Mama Antula”, zu der Argentiniens Präsident Javier Milei angereist war.

Noch seltener kommt es vor, dass eine Mutter der Heiligsprechung des eigenen Kindes beiwohnt. Denn im Allgemeinen dauern solche kirchlichen Verfahren Jahrzehnte, und selten betreffen sie einen so jungen Menschen. Zuletzt war das vor fast genau 75 Jahren der Fall: Am 24. Juni 1950, ebenfalls einem Heiligen Jahr, wurde die Märtyrerin Maria Goretti (1890-1902) heiliggesprochen, im Beisein ihrer 85-jährigen Mutter Assunta Goretti.