Klaus Michael Kilb ist Interims-Geschäftsführer des Diakonischen Werks Berlin-Stadtmitte e.V. Das Sozialunternehmen mit 306 Mitarbeitenden befindet sich derzeit in einem Insolvenzverfahren in Eigenverwaltung. Ein Projekt musste an einen anderen Träger übertragen werden, eine Kita geschlossen und ein Projekt der Straßensozialarbeit beendet werden. Wie es gelingen soll, die soziale Arbeit des Vereins langfristig zu sichern und die Strukturen effizienter zu gestalten, darüber sprach Uli Schulte Döinghaus mit Klaus Michael Kilb.
Herr Kilb, wie geht es dem Diakonischen Werk Berlin-Stadtmitte?
Klaus Michael Kilb: Im Rahmen der Insolvenz setzen wir das Sanierungskonzept um. Dabei wurde und wird jedes einzelne Projekt auf die betriebswirtschaftlichen Möglichkeiten geprüft. Ziel ist es, möglichst viele Projekte auch im Jahr 2026 fortzuführen, wenn eine auskömmliche Finanzierung sichergestellt ist. Die in 2025 laufenden Projekte werden fortgeführt.
Wie viele Projekte gibt es unter dem Dach des Diakonischen Werkes?
Wir haben 64 Projekte aus den Bereichen „Kind, Jugend & Familie“, „Beratung in der Pflege“, „Armut & Schulden“, „Suchthilfe“, „Migration & Flucht“,„Wohnungslosenhilfe“. Den Mitarbeitenden, dem Vorstand, der Mitgliederversammlung dem Kirchenkreis und der Geschäftsführung liegt viel daran, dass die Projekte fortgeführt werden, dass unsere Klienten versorgt sind und dass die Mitarbeitenden ihren Arbeitsplatz behalten.
Welche Projekte sind betriebswirtschaftlich schwierig?
Zum Beispiel gibt es Projekte, da werden vom Zuwendungsgeber auch Eigenanteile erwartet. Das heißt, die Kosten werden aus öffentlichen Mitteln nicht komplett bezahlt. Zum Beispiel die Migrationsberatung für erwachsene Zuwanderer (MBE), das Projekt ist nicht 100-prozentig ausfinanziert. Wir sind hier jedoch weiterhin optimistisch, dass auch diese Projekte fortgeführt werden können.
Die weiteren Mittel muss das Diakonische Werk organisieren?
Wir haben uns angeschaut: Sind die Kostenträger bereit, auch im Rahmen des Insolvenzverfahrens, das Projekt weiter zu finanzieren. Ein kritisches Projekt war ein Projekt der Berliner Straßenarbeit. Förderrecht und Insolvenzrecht konnten nicht zur Deckung gebracht werden, sodass dieses Projekt mit acht Mitarbeitern nicht fortgeführt werden durfte. Die meisten der betroffenen Mitarbeitenden werden an anderer Stelle im Diakonischen Werk Berlin Stadtmitte weiterbeschäftigt.
Gibt es ähnliche Projekte, die auf der Kippe stehen?
Es gibt noch zwei Projekte, die von uns weiterhin vertieft geprüft werden. Eine Entscheidung fällt in diesen Wochen.
Wie treiben Sie die Sanierung voran, um das Diakonische Werk zukunftsfest zu machen?
Indem wir mit am Sanierungskonzept festhalten, den guten Kontakt zu den Kostenträgern suchen und Strukturveränderungen vornehmen.
Wie die Digitalisierung?
Da sind wir auf dem Weg. Wir haben zum Beispiel eine neue Systematik eingeführt, um Buchführung und Rechnungslegung neu aufzustellen, und zwar im Rahmen eines umfangreichen Digitalisierungsprozesses.
Das kostet Geld.
Zum Eigenverwaltungsverfahren gehört, dass Mittel zur Restrukturierung zur Verfügung stehen. Also damit Prozesse wie Digitalisierung, Prozessveränderungen, Prüfung der einzelnen Projekte und Nachverhandlungen in einzelnen Projekten durchgeführt werden können.
Die Berliner Kostenträger, also Bezirke, Senat, wollen sparen, zumal bei den Sozialkosten. Wie schätzen Sie die Lage ein?
Die öffentlichen Verhandlungspartner tun sich in der Tat schwer mit Zusagen für das Jahr 2026, weil die Haushalte noch nicht verabschiedet sind. Wir vom Diakonischen Werk Berlin Stadtmitte e.V. müssen aber jetzt das Jahr 2026 planen und bekommen womöglich erst Ende Dezember oder Anfang Januar Bescheide von der Verwaltungsseite, was auch die Entscheidung für Vertragsverlängerungen oder ähnliches erschwert.
Wer, außer den Bezirks- und Senatsverwaltungen, gehört zu den Gläubigern?
Zum Beispiel die Agentur für Arbeit, die die Gehälter für drei Monate übernommen hat. Dann sind da die klassischen Lieferanten, Kostenträger, nicht zuletzt die Arbeitnehmer, die teilweise Überstunden in ihr Diakonisches Werk investiert haben.
Wenn ich Gläubiger wäre, wäre mir wichtig, mein Geld zu „retten“.
Auch deshalb haben unsere Gläubiger ein großes Interesse, dass das Unternehmen perspektivisch eine Zukunft hat, dass der Betrieb fortgeführt, die soziale Arbeit geleistet wird und eine ähnliche Situation vermieden werden kann.
Wie geschieht das?
Im Rahmen des Insolvenzverfahrens muss man das Unternehmen auch am Markt platzieren, um festzustellen, ob es einen potentiellen Käufer gibt.
Gibt es Interessenten?
Ja, aufgrund der renommierten Projekte gab es für das Diakonische Werk hier in Berlin Stadtmitte Interessenten. Von den Gläubigern haben wir jetzt den Auftrag bekommen, mit einem Kaufinteressenten zu verhandeln – dem EJF (Evangelisches Jugend- und Fürsorgewerk). Die gemeinnützige Aktiengesellschaft mit Sitz in Berlin ist ein bundesweit tätiges, christlich geprägtes Unternehmen der Sozialwirtschaft. Es beschäftigt rund 5000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.
Welches Interesse hat ein diakonisches Unternehmen wie das EJF an der Übernahme?
Im EJF ist Wachstum aus Verantwortung strategisch verankert: Wenn etablierte, aber unterfinanzierte soziale Träger in wirtschaftliche Schieflage geraten, darf die Antwort darauf demnach nicht der Rückzug, sondern muss die solidarische Konsolidierung sein. Das EJF versteht sich als starker Partner innerhalb der Diakonie, der dort einspringt, wo es strukturell notwendig ist. Ziel ist es, fachliche Qualität, professionelle Strukturen und die wertvolle Arbeit engagierter Mitarbeitender zu sichern und weiterzuentwickeln. Durch den Zusammenschluss eröffnen sich Synergien, insbesondere im Bereich der zentralen Dienste, die eine effizientere und nachhaltigere Struktur ermöglichen – ganz im Sinne zukunftsorientierter und wirkungsvoller sozialer Arbeit.
