“Die Menschen sind nicht immer, was sie scheinen. Doch selten etwas besseres.” Hilfslehrer Raziq lässt seine Geflüchteten-Klasse das bekannte Zitat aus Lessings “Nathan der Weise” durchnehmen. Und natürlich bezieht sich der Spruch hier auf so ziemlich jede Figur: In der sechsteiligen Thriller-Serie “Informant – Angst über der Stadt” ist kaum jemand, was er oder sie auf den ersten Blick zu sein scheint. Die ARD zeigt am Mittwoch, 16.Oktober, sowie am Donnerstag, 17. Oktober, jeweils drei Folgen ab 20.15 Uhr.
Das Versteckspiel bildet den Kern der Erzählung: Da ist der verdeckte Hamburger Ermittler Gabriel Bach (Jürgen Vogel), der alle paar Jahre eine neue Identität annimmt, um bestimmte Milieus auszukundschaften. Da ist Raziq (Ivar Wafaei), genannt Raza, der sich von Bach und seiner Kollegin Holly Valentin (Elisa Schlott) als Informant auf einen Drogendealer mit möglichen Kontakten zu islamistischen Attentätern ansetzen lässt – gezwungenermaßen. Das Druckmittel ist Razas illegal in Deutschland lebende Freundin Sadia.
“Informant – Angst über der Stadt”: Behörden konkurrieren
Da sind aber auch die Alleingänge und Heimlichtuereien zwischen den verschiedenen an der Anschlags-Prävention beteiligten, rivalisierenden Behörden: BKA, LKA und BND. Und da sind die geheimen Vorbereitungen der Terroristen, die zu verhindern der Motor dieser packenden Erzählung ist.
“Informant – Angst über der Stadt” ist eine Adaption der BBC-Serie “Informer” aus dem Jahr 2018, was man der Produktion jedoch in keinem Moment (negativ) anmerkt. Äußerst spannend, vielschichtig, eigenständig und in sich stimmig kommt die deutsche Neuerzählung der britischen Story daher. Regisseur Matthias Glasner, der auch das Drehbuch schrieb, ist seit “Sexy Sadie”, “Der freie Wille”, “Gnade” und zuletzt “Sterben” für gewagte und vieldiskutierte Kinofilme bekannt; meist mit Jürgen Vogel in der Hauptrolle.
Äußerst intensive ARD-Produktion
Bei “Informant” handelt es sich – schließlich läuft die Serie im deutlich experimentierunlustigeren Fernsehen – zwar um eine konventionellere, wenngleich äußerst intensive und spannende Produktion. Und Vogel – der Mann mit dem markantesten Gebiss der deutschen Filmbranche – füllt den Rollen-Klassiker (oder, je nach Sichtweise, das Klischee) des gebrochenen Ermittlers mit düsterer Vergangenheit und guten Connections zur Halbwelt fulminant mit neuem Leben.
Immerhin darf dieser eigenbrötlerische, von den Kollegen kritisch beäugte Polizist eine Familie haben, gar eine überraschend bürgerliche. Auch die junge BKA-Ermittlerin Holly Valentin, die Bach zunächst nur widerwillig an seiner Seite akzeptiert, trägt durchaus stereotype Züge – klug, top ausgebildet, von der Arbeit besessen, einsam. Was jedoch ebenfalls kein Manko ist: Elisa Schlott eignet sich diese Figur mit coolem Spiel ganz und gar an.
Verschiedene Milieus beleuchtet
Souverän, atmosphärisch und geschickt über mehrere Zeitebenen ineinander verflochten erzählt Glasner von den verschiedenen Lebensgeschichten und Milieus: den sich gegenseitig beharkenden Sicherheitsbehörden. Razas Familie, die nach der Flucht aus Afghanistan und dem Tod der Mutter nur schwer Fuß fasst in ihrem Hamburger Leben – der junge Mann bildet gewissermaßen das Rückgrat dieses fragilen Konstrukts, versucht den Schule schwänzenden Bruder, den Alkoholiker-Vater und seine (über)große Pläne schmiedende Freundin zu unterstützen. Doch auch das kriminelle Milieu rund um Dadir (Benny O. Arthur), Razas neuen “Freund” und Geschäftspartner, oder die rechte Szene, in der sich Bach einst bewegte, sind stimmig, nuanciert und fesselnd gezeichnet.
Großen Anteil daran haben die bis in kleinste Nebenrollen fantastischen Schauspieler, die intensive Kamera von Friede Clausz, die dezent wirkungsvolle Musik von Sven Rossenbach und Florian Van Volxem. Doch all dies wäre nichts ohne das fesselnde, gut aufgebaute Drehbuch mit seinen komplexen, interessanten Figuren, beiläufig eingestreuten Literatur-Zitaten und präzisen Dialogen sowie die perfekte, enorm spannende Inszenierung – das eine wie das andere aus der Hand von Matthias Glasner.
“Informant – Angst über der Stadt”. Mittwoch, 16. Oktober, und Donnerstag, 17. Oktober, um 20.15 Uhr in der ARD.