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In der Mitte Berlins

Matthias Loerbroks, der langjährige Pfarrer der Berliner Friedrichstadtgemeinde, wird in den Ruhestand verabschiedet. Er setzt sich seit Jahren für den jüdisch-christlichen Dialog ein

Von Uli Schulte Döinghaus

Wenn Matthias Loerbroks (65) aufhört, fängt Matilda (7) an. Denn während eines Gottesdienstes zu seiner Verabschiedung wird er seine Enkelin in der Französischen ­Friedrichstadtkirche zu Berlin taufen. Fast 24 Jahre war Loerbroks von Berufs wegen mit dem Schauplatz von Entpflichtung und Taufe verbunden. Der promovierte Theologe war Pfarrer der Evangelischen Kirchengemeinde in der Friedrichstadt, deren Gottesdienste in der Kirche am Gendarmenmarkt gefeiert wurden. Zum 1. Januar 2022 fusionierte sie mit der Gemeinde St. Petri-St. Marien zur Gemeinde St. Marien-Friedrichswerder. 

Wegbereiter der Vereinigung von Ost- und Westgemeinden

Die Verwerfungen der ost-west­lichen Kirchengeografie kennzeichnen auch ein wenig das Schicksal der Kirchengemeinde. Sie wurde in DDR- und Mauerzeiten auseinandergerissen und fügte sich 2001 wieder zu einer Einheit in West- und Ost-Berlin zusammen, über die Matthias Loerbroks lebhaft zu erzählen weiß. Noch 1998, als er in die damalige ­Gemeinde Friedrichswerder entsandt wurde, galt es, gegenseitige Skepsis bei den Kreuzberger West-Christen und den Ost-Christen in Berlin-Mitte zu moderieren und zu überwinden. Das scheint gelungen.

Wenn Loerbroks erzählt, bleibt ein kurzer Rückblick auf die Pandemie nicht aus. Wie überall litt (und leidet) das Gemeindeleben unter Lockdowns und Beschränkungen. Gottesdienste fallen aus, Besuche und Seelsorge sind schwierig. Für Loerbroks und „seine“ Friedrichstadt-Gemeinde bedeutete dies auch, Predigten häufiger zu verschriftlichen und zum Beispiel   übers Internet zu veröffentlichen. Loerbroks‘ zu­packende Predigt zum Israelsonntag 2021 beweist sein zorniges Engagement für ­Geschichte, Gegenwart und Zukunft unserer christlich-jüdisch-bib­lischen Gemeinschaft: „Unsere ­Abwertung alles Jüdischen, unsere Klischees von Juden haben dazu beigetragen, dieses Volk in aller Welt verächtlich und verhasst zu machen. Und wir haben uns auch selbst geschadet: Aus dem besonderen Gott der Bibel wurde ein Allerweltsgott, farblos und blass, ein Gott ohne Eigenschaften, ohne Ziele, ohne Geschichte.“ 

Solch leidenschaftliche Selbstkritik, die auch Gespräche mit Loerbroks prägen, verhallt nicht über der Kanzel oder im Internet, sondern mündet in aktive Aufgaben, die er in Berlin, in der EKBO und auch bundesweit übernommen hat, etwa in der Arbeitsgemeinschaft Theologie der Aktion Sühnezeichen Friedensdienste, im Landeskirchlichen Arbeitskreis Christen und Juden der EKBO und in der bundesweiten Konferenz solcher Arbeitskreise (KLAK).

Als junger Mann war Loerbroks anderthalb Jahre in Israel, arbeitete dort mit der Aktion Sühnezeichen Friedensdienste. Dieser Einsatz gab unter anderem den Anstoß, Theologie in Tübingen und Berlin zu studieren. An der Freien Universität promovierte Loerbroks bei Friedrich-Wilhelm Marquardt, der bis heute als Pionier im jüdisch-christlichen Dialog gilt. 

Einladung in den „Salon“ zu Schleiermacher

Dazu passt „bei Schleiermacher“. So überschreibt die Evangelische ­Kirchengemeinde in der Friedrichstadt eine Einladung mit dem ­traditionsreichen Namen „Salon“, zu dem man regelmäßig einmal im Monat einlädt. Mal zu Lesungen, mal zu Kammermusik, mal zu Gesprächsabenden zu theologischen und politischen Themen.

Mit dem großen Theologen Friedrich Schleiermacher (1768–1834) hat die Sache eine einfache ­Bewandtnis. Der Philosoph, Theologe und Mitbegründer der Berliner Universität lebte und wirkte hier als Pfarrer. Regelmäßig habe er die ­Gesprächszirkel in der Nachbarschaft besucht, heißt es, wo man so geistreich wie buchstäblich über Gott und die Welt stritt, zumal im Salon der Jüdin Henriette Herz. 

An diese Tradition wird im Schleiermacherhaus in der Berliner Taubenstraße seit Jahrzehnten mit Erfolg angeknüpft, zu dem Matthias Loerbroks beiträgt. „Ein beträcht­licher Aufwand“, sagt er, „aber es lohnt sich.“ Musikerinnen folgen seiner Einladung, Schriftsteller und Publizisten. Aber auch Politiker wie Egon Bahr, Gregor Gysi oder Angela Merkel. Sie ist Mitglied jener Kirchengemeinde im Herzen von Berlin, der Matthias Loerbroks noch bis zur Taufe seiner Enkelin dient. 

Die Verabschiedung und Entpflichtung von Pfarrer Loerbroks ist am Sonntag, 27. Februar, um 14 Uhr in der Französischen Friedrichstadtkirche zu Berlin. Es singt der Friedrichwerdersche Chor Berlin. Orgel und musikalische Leitung: Kirchenmusikdirektor Kilian Nauhaus.