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In Ägypten gibt es mehr Synagogen als Juden

Ein Jude wandert durch die Wüste, um sein Volk zu retten. Diese Geschichte erzählt nicht nur die Bibel, sondern auch der Film „Nicht ganz koscher“ aus dem Jahr 2022. Darin sendet die Gemeinde von Alexandria einen Notruf nach Jerusalem: „Wenn wir keinen zehnten Mann finden, können wir nicht Pessach feiern. Und wenn wir kein Pessach feiern, machen sie uns dicht.“ Im Film sorgt nämlich ein alter Vertrag dafür, dass die ägyptischen Behörden aus der Synagoge in Alexandria ein Museum machen dürfen, sobald das religiöse Leben dort zum Erliegen kommt.

Für Jüdinnen und Juden ist Ägypten enorm bedeutsam. Hier hat Gott sein Volk aus der Sklaverei geführt, hier hat er ihm am Berg Sinai die Tora gegeben und hier ist seine Geschichte bis heute zum Greifen nahe. Etwa in Form der Siegesstele des Pharao Merenptah. Eine drei Meter hohe Steintafel im ägyptischen Museum Kairo, von oben bis unten voller Hieroglyphen. Zehn davon ergeben gemeinsam das Wort Israel. Es ist die älteste bekannte Erwähnung des Gottesvolkes, datiert auf das Jahr 1208 vor Christus.

Ein anderer historischer Schatz wurde um 1890 bei Renovierungen in der Ben-Esra-Synagoge gefunden. Sie liegt im ältesten Stadtteil Kairos und lässt sich auch heute nur über schmale Gassen erreichen. Von der Empore der Synagoge führt ein Loch in der Wand zu einem kleinen Raum auf dem Dachboden. Über Jahrhunderte hinweg haben sich hier hebräische und arabische Dokumente angesammelt, insgesamt über 200.000 Stück.

Darunter waren „wichtige biblische und apokryphe Textzeugen, liturgische Texte, aber auch Chronikfragmente, etwa in jüdischer Perspektive auf die Kreuzfahrer, Heiratskontrakte und Geschäftsbriefe“, sagt Professor Johannes Heil von der Hochschule für Jüdische Studien Heidelberg.

Diese sogenannte Genisa diente als Endlager für Schriften, die den Gottesnamen enthalten und deshalb nicht vernichtet werden dürfen. Für die Forschung ist sie bis heute sehr bedeutsam. „Die Kairoer Texte haben ganz neue Blicke in die Alltagswelt der Juden im Mittelalter ermöglicht und erlauben die Nachzeichnung von Kommunikationswegen“, erklärt Heil.

Eine große Rolle in diesem Alltag spielte auch die jüdisch-muslimische Kooperation, die in Ägypten immer wieder Blüten trieb. Der große jüdische Gelehrte und Arzt Mosche ben Maimon zum Beispiel, Oberhaupt der jüdischen Gemeinde, kam im 12. Jahrhundert durch den Großwesir al-Qadi al Fadil an den Hof des Sultans Saladin. 1945 lebten gut 100.000 Juden in Ägypten. Das änderte sich, als 1948 der Staat Israel gegründet und in Kriege mit den arabischen Nachbarn verwickelt wurde. Die Juden verließen Ägypten in Massen, zumeist unfreiwillig.

Magda Haroun kann die verbliebenen Juden in Kairo an einer Hand abzählen. Die 74-Jährige steht einer Gemeinde vor, die zwar über zwölf Synagogen verfügt, aber keine junge Generation mehr hat. Haroun selbst ist Mutter von zwei Töchtern – die sind aber beide muslimisch.

Seit 2018 versucht Ägypten, seine Schulbücher von judenfeindlichen Aussagen zu befreien, was laut der israelischen Organisation „Impact se“ auch erfolgreich voranschreitet. Der Islamwissenschaftler Omar Kamil äußert sich aber trotzdem skeptisch: „Es gibt einen Unterschied zwischen den Büchern und dem, was der Lehrer damit macht.“ Kamil, der in Kairo aufwuchs, lehrt heute an der Universität Halle-Wittenberg. „Mein Traum ist, dass wir eines Tages ein jüdisches Museum in Ägypten haben“, sagt er. Denn Entwicklungen in Ägypten prägten auch andere arabische Gesellschaften. Seit einigen Jahren trägt er in der Facebook-Gruppe „Jews of Egypt“ Erinnerungen und Dokumente von Angehörigen der ägyptischen Juden zusammen.

Im Kinofilm „Nicht ganz koscher“ ist es am Ende ein Muslim, der sich als Jude ausgibt, damit die Gemeinde von Alexandria weiterbestehen kann. So ähnlich wünscht sich auch Omar Kamil, dass sich genügend ägyptische Unterstützer für ein Museum finden. Damit immerhin das reiche jüdische Erbe des Landes weiterleben kann. (1463/20.06.2025)