Nächtliches Alkoholverbot auf öffentlichen Plätzen, abgesagte Gottesdienste, gesperrte Spielplätze, Maskenpflicht und Impfzwang: Solche Beschränkungen haben während der Corona-Pandemie seit dem Frühjahr 2020 für viel Verbitterung gesorgt. Vier Jahre später sehen Politiker wie der damalige CDU-Vorsitzende Armin Laschet darin die Ursache für eine Spaltung der Gesellschaft, die bis heute fortdauert.
Deshalb werden derzeit immer mehr Forderungen aus Politik, Wissenschaft und Gesellschaft laut, die damaligen Entscheidungen aufzuarbeiten. Um Wunden zu heilen, wie Laschet sagt: Er hoffe, dass sich durch eine neue Dialogkultur, die auch Fehler zugestehe, die Spaltung der Gesellschaft wieder beruhige. Aber auch, um besser auf eine nächste Pandemie vorbereitet zu sein, wie die Deutsche Forschungsgemeinschaft in dieser Woche erklärte.
Ethikrat: Wunsch nach systematischer Aufarbeitung
Auch die Vorsitzende des Deutschen Ethikrats, Alena Buyx, formuliert den Wunsch nach systematischer Aufarbeitung. Sie bedauere sehr, dass der Gesellschaft ein gemeinsames Verarbeiten der Pandemie durch den Krieg in der Ukraine und andere existenzielle Krisen teilweise genommen worden sei, sagte sie dem Spiegel.
Vereinzelte Stellungnahmen Verantwortlicher gab es: Anfang März räumten Mitglieder der früheren Bundesregierung unter Ex-Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) Versäumnisse ein. “Der größte Fehler war, dass wir bei den Kindern zum Teil zu streng gewesen sind und mit den Lockerungsmaßnahmen wahrscheinlich etwas zu spät angefangen haben”, sagte der heutige Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) dem Spiegel.
Impfpflicht für bestimmte Berufsgruppen in der Kritik
Auch der damalige Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) erklärte, er würde einigen Einschränkungen heute nicht mehr zustimmen: etwa den nächtlichen Ausgangssperren. Und auch die Pflicht für einige Berufsgruppen, sich gegen das Virus impfen zu lassen, sieht der CSU-Politiker kritisch. Helge Braun (CDU), damals Chef des Kanzleramts, räumte ein, die damalige Bundesregierung habe die Wirkmächtigkeit der Impfstoffe zu hoch eingeschätzt. “Wir haben das Impfen als eine Lösung für den Ausstieg aus der Pandemie beworben und eine Erwartung geschürt, die wir am Ende nicht erfüllen konnten.”
Bleibt die Frage, ob diesen Erkenntnissen nicht noch eine systematische Aufarbeitung folgen müsste. Die Veröffentlichung von Corona-Protokollen des Robert-Kochs-Instituts (RKI) vergangene Woche hat eine neue Dynamik in die Debatte gebracht. Ob Laschet oder führende FDP-Politiker: Der Ruf nach einer Enquetekommission des Bundestags, in der Abgeordnete mit Experten aus Wissenschaft und Gesellschaft beraten, wird derzeit immer lauter.
Große wissenschaftliche Erfolge während Corona
Auch Lauterbach und Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) haben sich für eine kritische Auseinandersetzung ausgesprochen, zugleich aber vor unproduktivem Streit gewarnt: Es sei wichtig, manche schon während der Pandemie nicht hilfreichen Debatten nicht noch einmal zu wiederholen, sagte Habeck. Auch Lauterbach betonte, eine Aufarbeitung müsse nach vorne gerichtet sein. Er verwies auf den beim Kanzleramt eingerichteten Expertenrat “Gesundheit und Resilienz”, der ebenfalls Lösungen für kommende Pandemien entwickeln soll.
Auch Ethikrat-Chefin Buyx warnte, die Pandemie werde von einer kleinen, sehr lauten Gruppe instrumentalisiert, um das Vertrauen in Staat und Demokratie zu schwächen. Aus ihrer Sicht müssen auch die positiven Folgen der Pandemie gewürdigt werden. “Wir müssen als Gesellschaft einfach mal aufhören mit diesem ständigen Fokussieren auf das, was gerade nicht gut läuft”, sagte sie. Zwei Drittel bis zu drei Viertel der Bevölkerung hätten durch die härtesten Zeiten hindurch die Maßnahmen wie den Lockdown oder das Impfen als angemessen empfunden.