Die Schlagzeilen zu Nahost beherrscht derzeit der Krieg im Gazastreifen. Ähnlich angespannt ist die Lage in Syrien. Ein Besuch in einem Wüsten-Kloster mit einer besonderen Mission
Die Hand ausgestreckt zur islamischen Welt und Brückenbauer für den Frieden: In diesem Zeichen lebt die Gemeinschaft von Deir Mar Moussa al Habachi, auch Saint-Moise l’Abyssin genannt, in einem christlichen Wüstenkloster in Syrien. Ökumene und der christlich-muslimische Dialog werden hier in Wort und Tat großgeschrieben. Das Projekt will zeigen, dass ein friedliches Zusammenleben “nicht nur möglich, sondern auch schön” ist, wie es Pater Dschihad Jussef formuliert.
Sommer in Syrien: Zwar verzeichnet der am Donnerstag veröffentlichte Weltflüchtlingsbericht des UN-Flüchtlingshilfswerks UNHCR eine steigende Zahl von Rückkehrern in das Land. Doch die Lage bleibt angespannt. Nach einem jahrelangen Bürgerkrieg stürzte Ende vergangenen Jahres eine Koalition aus mehreren Rebellengruppen die Regierung um Baschar al-Assad. Übergangspräsident wurde Ahmed al-Scharaa, der die Islamisten-Miliz HTS anführte. Wie sich künftig das Zusammenleben von Muslimen, Christen, Alawiten und Drusen gestaltet und welche Rolle islamistische Überzeugungen spielen, ist offen.
In den Jahrzehnten unter der Assad-Diktatur lebte die Bevölkerung wie in einem Blackout, sagt Pater Dschihad in einem Interview der libanesischen Zeitung “L’Orient – Le Jour”. Das einzelne Menschenleben habe nichts gezählt. “Jeder wusste das, aber es war ein Tabu.” Der Sturz Assads sei nicht allein Sache von islamistischen Milizen gewesen, betont der Geistliche. “Alle Syrer sind Sieger.” Zum Schluss habe der Staat nur noch als Milchkuh gedient, der vom Assad-Clan und seiner mafiösen Entourage gemolken worden sei.
Klare politische Ansagen, die immer noch gefährlich sein können. Seit 2013 gilt der Gründer der Gemeinschaft, der italienische Jesuitenpater Paolo Dall’Oglio als verschollen. Er wurde entführt, als er im Osten Syriens helfen wollte, Geiseln aus der Gewalt der Terrormiliz “Islamischer Staats” (IS) zu befreien. Zuvor schon hatte er sich für einen Wandel in Syrien stark gemacht. Zuletzt kursierten Gerüchte, wonach die sterblichen Überreste Dall’Oglios in einem Massengrab gefunden wurden. Es gebe jedoch weiterhin keine handfesten Beweise, “ob er tot ist oder noch lebt”, sagt Dschihad Jussef, der im August 2024 für eine zweite Amtszeit von sieben Jahren als Oberer der Gemeinschaft bestätigt wurde, die Dall’Oglio 1982 gegründet hatte.
Der Italiener wollte einen Ort radikaler Gastfreundschaft und islamisch-christlicher Freundschaft in einem von interreligiösen Konflikten zerrissenen Nahen Osten schaffen. Heimat dieses Vorhabens sollte das seit langem leerstehende, verfallene Kloster Deir Mar Moussa al Habachi aus dem 7. Jahrhundert werden. Es liegt rund 80 Kilometer nördlich von Damaskus, in der wilden Wüstenschönheit des östlichen Ausläufers des Qalamoun-Gebirges.
Anfang der 1990er-Jahre erkannte die syrisch-katholische Kirche die ökumenische Klostergemeinschaft an, die Frauen und Männern offensteht. Wenn Muslime den islamischen Fastenmonat Ramadan feiern, fasten auch die Brüder und Schwestern von Mar Moussa. In der Kirche des Klosters mit ihren mittelalterlichen Fresken hat das christliche Gebet ebenso Platz wie das gemeinsame Rezitieren der Namen Gottes von Christen und Muslimen. Sufi-Gesänge erklingen neben Psalmen. Viele der muslimischen Mitarbeiter des Klosters leben unter der Woche auf dem Gelände und nutzen einen Teil der Kirche für das muslimische Gebet.
Über die Jahre wurde das Kloster zum Sehnsuchtsort für Suchende aus aller Welt – und vor dem syrischen Bürgerkrieg zum festen Bestandteil des Programms Tausender Touristen. Rund 300 Stufen galt es zu erklimmen, um das teilweise in den Felsen gehauene Kloster zu erreichen. Internationale Konferenzen zum interreligiösen Dialog fanden hier statt, im Klosterladen bekam man Käse, Marmelade und weitere Köstlichkeiten aus Klosterproduktion. Von Artenschutz über Schul- und Bildungsprogramme reichte das Spektrum der von der kleinen Gemeinschaft organisierten Aktivitäten.
Im Bürgerkrieg geriet auch Mar Moussa unter Beschuss. Mehrere Jahre kontrollierten Dschihadisten die Region, die zum Bistum Homs gehört. Das nahe gelegene Schwesterkloster Deir Mar Elian wurde zerstört, sein Prior Jacques Mourad, heute syrisch-katholischer Bischof von Homs, über Monate entführt. Viele Christen flüchteten vor dem Terror des IS.
Die schlimmsten Tage scheinen vorüber. Aber die Herrschaft des Assad-Regimes und die Schrecken des Krieges steckten den Menschen immer noch in den Knochen, sagt Pater Dschihad Jussef im Interview von “L’Orient – Le Jour”. Eine Aufarbeitung der Ereignisse in Syrien sei dringend vonnöten, aber die intellektuelle Elite sei ausgeblutet. Was die Situation der Christen anbelangt, sieht es laut Pater Dschihad nicht besser aus. Rund 250.000 lebten noch in Syrien, “und wenn sie die Möglichkeit hätten, das Land zu verlassen, würden sie es tun”.
Syrien könne von einem Moment auf den anderen wieder ins Chaos kippen, warnt der Geistliche. Hilfe von außen sieht er trotzdem skeptisch. Letzten Endes könnten nur die Syrer selbst ihre Differenzen regeln. Und das auch unter einem ehemaligen Führer einer islamistischen Miliz, der nun an der Spitze des Staates stehe. Seine Gemeinschaft, sagt Pater Dschihad Jussef, wolle ihren Teil zu einer gesellschaftlichen Versöhnung beitragen.
So sieht es auch Frédéric Masson, der selbst zeitweise in Mar Moussa gelebt hat. Inzwischen seien Besucher und Pilger zurück, berichtet der syrisch-katholische Pfarrer von Bethlehem der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA). Gegenwärtig erlebe die Gemeinschaft “den vollsten Sommer seit Kriegsbeginn”. Ziel sei es jetzt, sich am Wiederaufbau Syriens zu beteiligen, darunter mit Projekten für Jugendliche und ehemalige Gefangene. “Die Gemeinschaft hatte immer das Ziel, ein Ort der gelebten Hoffnung, des Lebens und der Versöhnung zu sein”, so Masson. “Dieses Ziel hat angesichts der Situation in Syrien eine besondere Dringlichkeit.”