„Licht aus! Spot an!“ Vier Wörter, die bis heute mit dem Namen Ilja Richter verbunden sind. Mit nicht mal 20 Jahren startete er 1971 mit dieser legendär gewordenen Ansage als Moderator die neue TV-Musiksendung „Disco“. Bis 1982 präsentierte Richter im ZDF mit lockerem und schnellem Mundwerk Millionen von jungen Zuschauern Stars aus der Schlager-, Pop- und Rockwelt.
Inzwischen ist Richter, der sich auch als Schauspieler, Regisseur, Sänger sowie als Hörbuch- und Synchronsprecher einen Namen gemacht hat, 71 Jahre alt – doch sein Sprechtempo und sein Witz sind geblieben. Davon konnten sich die zahlreichen Besucher seiner musikalischen Lesung im September in der Apostelkirche Hannover überzeugen.
Erinnerungen an den Religionsunterricht
Dort stellte er sein neues Buch „Lieber Gott als nochmal Jesus“ vor – und schon der Beginn machte deutlich, welches Thema Richter heute beschäftigt: „Vater, Vater, warum hast Du mich verlassen? Es ist diese Klage Jesu, die seit Kindertagen in mir haften blieb. Dank protestantischem Religionsunterricht unter Frau Pranke. Damals hatte diese wunderbare Frau mir Gott ein Stück nähergebracht. Ohne dass ich Christ geworden wäre. Bis heute glaube ich. Nur bis zum Glauben an Jesus hat es nicht gereicht.“
Richter spricht von seiner jüdischen Mutter und seinem kommunistischen Vater, der viele Jahre im Konzentrationslager Häftling war. Mit dem man über alles reden konnte, nur nicht über Religion. Er spricht von seiner ermordeten Großmutter, mit der er nur Trauer verbindet und die ihm unbekannt bleibt. Er spricht über die Suche nach dem Grab seines Großvaters auf dem jüdischen Friedhof Berlin-Weißensee. „Ich hatte das Grab meines Großvaters, einige Jahre zuvor, tatsächlich gefunden – mich selbst aber noch lange nicht!“
Schwere Kost mit vielen Lachern
Richter spürt in dem gut 90-minütigen Programm seinen jüdisch-christlichen Wurzeln nach und erfindet dafür einen Juden, der als evangelischer Gefängnispfarrer die abgestumpften Herzen der Häftlinge erreicht. Die Botschaft: Die Kombination von Judentum und Christentum kann Wunder wirken.
Wobei die Frage nach seinen Wurzeln für Richter, der sich nur in bestimmten Momenten als Jude fühlt und sich deshalb als 5-Minuten-Jude bezeichnet, eine neue Dringlichkeit bekommen hat. „Und seit dem 7. Oktober 2023 werden diese ‚5 Minuten‘ von Tag zu Tag länger und das Leben dafür kürzer. Je kürzer die Abstände werden, in denen der Hass meine jüdischen Väter, Brüder, Schwestern verunglimpft, desto intensiver suche ich nach einer Brücke zu ihnen.“
Richter berlinert, wenn er seinen Vater zu Wort kommen lässt, er wienert, wenn er am Klavier begleitet von Christian Hagitte Lieder von Georg Kreisler vorträgt. Der aus Österreich stammende Dichter schildert darin das Gefühl, sich als Jude nicht zu Hause zu fühlen.
„Das ist relativ schwere Kost“, meint in der Pause ein Besucher zu seiner Begleiterin. Doch es gibt auch immer wieder etwas zu lachen – wenn man bei der nicht optimalen Akustik in der Apostelkirche alles versteht. Am Ende starker Beifall für einen intensiven Abend.