Wie jede neue Bewegung übte auch die Reformation unwiderstehliche Anziehungskräfte auf Idealisten, Extremisten und Spinner aus. Seit einigen Jahrzehnten hat sich für diese Randgruppen der Begriff „Täufer und Schwärmer“ eingebürgert. Viele Ideen der Täufer, die im Zürich Huldrych Zwinglis erstmals auftraten, klingen sympathisch: Gewaltlosigkeit, Glaubensfreiheit, Trennung von Staat und Kirche. Doch in ihrer Modernität waren die Täufer einige Hundert Jahre zu früh dran. Sie wurden von der Obrigkeit erbarmungslos verfolgt.
Die Ereignisse in Münster sind religiöser Wahn
Anders als in allen anderen Städten des Reichs gelang es der Täuferbewegung, im westfälischen Münster Fuß zu fassen. Spätestens 1533 war der Rat der Bischofsstadt komplett protestantisch, beließ es dabei aber nicht, sondern öffnete sich unter dem Einfluss des Predigers Bernd Rothmann den Täuferlehren. Ein Jahr später, die beiden prominentesten Täufer Jan Matthys und Jan van Leiden waren inzwischen in Münster aufgeschlagen, stellte die Bewegung schon die Ratsmehrheit.
Was sich nun ereignete, kann man aus heutiger Sicht nur unter der Rubrik „religiöser Wahn“ verbuchen – kein Wunder, dass das münsteraner Täuferreich vielfaches Sujet in Romanen und Filmen wurde. Giacomo Meyerbeer ließ sich gar zu einer Oper („Le Prophète“) inspirieren.
Die Täufer fühlten sich berufen, aus Münster das Himmlische Jerusalem zu machen, das die bevorstehende Apokalypse erwartet. Männer durften in Münster mehrere Frauen heiraten, für die Bewohnerschaft der ganzen Stadt wurde eine allgemeine Gütergemeinschaft eingeführt; künftig war es untersagt, Türen und Tore abzuschließen. Zur geplanten Erweiterung der Stadt auf mindestens 144 000 Einwohner (mit so vielen war nach der Apokalypse 7, 4 zu rechnen) und der Zerstörung von überflüssig betrachteten Kirchbauten kam es nur wegen des stetigen Belagerungszustands nicht, den der aus der Stadt vertriebene Bischof Franz von Waldeck aufrechterhielt. „Die kirchen und Gottes heuser verstören sie gantz und gar, und nennen die selben Baals und Römische kauff-heuser, und mord gruben der selen“, berichtete die „newe zeitung von den Widertauffern zu Münster“, die in Nürnberg erschien.
Täuferführer Matthys ging mit einigen Getreuen zusammen zum Osterfest 1534 unbewaffnet und lauthals singend den feindlichen Landsknechten entgegen, um, wie man heute glaubt, durch einen Opfergang den zuvor erwarteten, aber ausgebliebenen Weltuntergang zu erzwingen. Am Abend sammelten seine in der Stadt verbliebenen Glaubensgenossen in einem Weidenkorb ein, was die Landsknechte von Matthys übrig gelassen hatten.
Je bedrängter die Lage in der Stadt wurde, umso radikaler gerierten sich die Täuferführer. Jan van Leiden, inzwischen König „Johannes I.“, vollstreckte Todesurteile persönlich und erfreute sich einer stolzen Anzahl von insgesamt 16 Ehefrauen. Dieweil wurde die Hungersnot so fürchterlich, dass manche den weißen Kalk von den Hauswänden kratzen, um ihn als Milchersatz in Wasser aufzulösen. Die Täufer bissen in Steine, beseelt vom verzweifelten Glauben, diese würden sich in Brot verwandeln.
Am Dienstag, 24. Juni 1535, setzten die Truppen des Bischofs nach eineinhalbjähriger Belagerung zum Sturm auf die Stadt an. Die ausgemergelten Täufer waren zur Verteidigung kaum noch fähig. Das letzte Aufgebot verschanzte sich ab vier Uhr morgens in einer Wagenburg aus sechs Fuhrwagen auf dem symbolischen Berg Zion, dem Domplatz, ergab sich dann aber kampflos. Der Bischof sagte freies Geleit zu, ließ die letzten 200 Täuferkämpfer aber dann ebenso niedermachen wie einige Hundert andere Stadtbewohner. Der Täuferprediger Bernd Rothmann wurde nicht dingfest gemacht; möglicherweise konnte er fliehen. Als einzigem der Täuferführer gelang es deren „Reichskanzler“ Heinrich Krechting, mit 24 anderen Täuferkämpfern zu fliehen und in einem bürgerlichen Leben Fuß zu fassen. Er starb 45 Jahre später in Ostfriesland.
Der Täufertraum vom Himmlischen Jerusalem zu Münster endete dagegen in einem Gemetzel, das ein halbes Jahr später noch eine Steigerung erfuhr, als die drei Rädelsführer, darunter Jan van Leiden, auf dem Prinzipalmarkt bestialisch zu Tode gefoltert wurden. Die Leichen steckte man in drei eiserne Käfige, die vom Turm der Lambertikirche als stetige Warnung vor Aufruhr dienten. Die (leeren) Käfige sorgen bis heute für Gruseln.
Das historische Resümee der Ereignisse hat der Historiker Ralf Klötzer trefflich zusamengefasst: „In Münster war die Täuferbewegung in die ideologische Sackgasse der Theokratie mit Weltherrschaftsanspruch geraten und war gescheitert.“ Die Katastrophe von Münster diente vielen Herren als Legitimation zur erbarmungslosen Verfolgung der Täufer nach dem Motto: Wehret den Anfängen.