Als Zeynab Hosseinpour ihre syrische Freundin Halima in den Sommerferien 2016 besuchte, traf sie sie zu ihrem Erstaunen beim Kofferpacken an. „Nanu, wo geht’s denn hin?“, fragte sie das Mädchen, das, wie sie, mit ihrer Familie geflüchtet war. Sie kannten sich aus einer Vorbereitungsklasse, in der sie sich für eine Schullaufbahn in Deutschland qualifizierten.
Damals hörte Hosseinpour erstmals von „FreeStyle“ – einer internationalen Jugendfreizeit im Sport- und Freizeitheim Kapf in Egenhausen im Nordschwarzwald. Die im Iran geborene Tochter afghanischer Eltern wäre am liebsten gleich mitgefahren.
Ein Jahr später war es so weit und sie nahm an dem Angebot des Evangelischen Jugendwerks (EJW) teil. Zusammen mit rund 40 weiteren Teenagern aus mindestens zehn Nationen. „Ich konnte dort so frei und so verrückt sein, wie ich wollte“, erinnert sich die heute 23-Jährige, die vor ihrer Ankunft in Deutschland als 15-Jährige mit ihrer Familie auch einige Jahre in der Türkei verbracht hatte. „Diese Energie, die ich hier hatte, hatte ich sonst nirgendwo“, erzählt Hosseinpour in perfektem Deutsch. Sie genießt die Gemeinschaft mit Gleichaltrigen und begeistert sich für „alles, was mit Bewegung zu tun hat“ – Basketball, Beach-Volleyball oder Frisbee.
Inzwischen gehört Hosseinpour, die gerade ihr duales Studium mit dem Bachelor in BWL-Industrie abschließt, zu einem Team aus etwa zwölf Mitarbeitenden. „Es ist einfach schön und fühlt sich nicht wie Arbeit an“, sagt sie über ihr Ehrenamt. Bei den sportlichen, kreativen und musikalischen Aktivitäten, aus denen die Teilnehmenden sich etwas aussuchen können, möchte die Fellbacherin in diesem Jahr Basketball und Yoga anbieten.
Jeweils zwei Mitarbeitende sind für die Leitung einer fünf- bis achtköpfigen Kleingruppe zuständig. Im letzten Jahr war Hosseinpour zusammen mit Landesjugendreferentin Vanessa Gunesch erste Ansprechperson für eine Mädchengruppe. In diesem Jahr übernimmt sie diese Aufgabe zusammen mit Anastasia, die aus der Ukraine geflüchtet ist.
„FreeStyle“ bedeutet neben viel Spaß auch Tiefgang. Nach dem Abendessen, das mit einem kurzen Dankgebet in Form eines Tischraps eingeleitet wird, gibt es einen Input. „Da geht es um lebensrelevante Themen, wie Beziehungen, Wahrheit oder Angst“, erklärt Yasin Adigüzel, der als EJW-Landesreferent für interkulturelle Öffnung die Freizeit leitet. ‘Was macht dir Angst?’ oder ‘Was macht dir Mut?’ sind Fragen, bei denen der evangelische Theologe und Islamwissenschaftler mit deutsch-türkischen Wurzeln auch seine persönlichen Erfahrungen als Christ einbringt, ohne sie anderen überzustülpen. Wichtig sei ihm der respektvolle Austausch in den Kleingruppen, wo unterschiedliche Sichtweisen zum Zug kommen und die Bereitschaft, voneinander zu lernen.
Neben Studierenden, die eine Praxiszeit absolvieren und Menschen, die sich im Rahmen ihres Bundesfreiwilligendienstes für die Freizeit engagieren, sieht Adigüzel vor allem in ehemaligen Teilnehmern ein hohes Potenzial für die Mitarbeit. So ging er – erstmals Ende 2019 – auf geeignete junge Erwachsene wie Hosseinpour zu, lud sie zu regelmäßigen Treffen mit Abendessen zu sich nach Hause und zu gemeinsamen Aktivitäten ein. Auf diese Weise entwickelte sich das Traineeprogramm „Born for More“. Damit lernen junge Leute aus aller Welt, wo ihre Stärken liegen, wie man Gruppen anleitet, Konflikte bewältigt und interkulturelle Hindernisse überwindet.
„Durch ‚Born for More‘ gewinnt Mitarbeit an Qualität“, ist der Landesreferent überzeugt. „Die Teilnehmenden merken, es geht nicht darum, über andere zu bestimmen, sondern ihnen zu dienen, damit sie ihr Potenzial entwickeln und sich wohlfühlen können“, so Adigüzel.
Das Traineeprogramm, das durch die Aktion Mensch gefördert wird, wird aber auch in anderen Bereichen eingesetzt, beispielsweise bei der Vorbereitung von internationalen Gottesdiensten in Bad Liebenzell. In Esslingen entwickelten junge Männer mit Unterstützung Adigüzels selbstständig einen wöchentlichen orientalischen Spiele- und Begegnungsabend für Deutsche. (2055/13.09.2024)