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Hungrig und heimatlos

Tierschützer wollen das ramponierte Image der Stadttauben verbessern.

EPD Kristina Schäfer

Mainz/Stuttgart (epd). Als Cathrine Ann Weber den Schlüssel in das Türschloss des dunkelgrünen Bauwagens steckt, nehmen die Bewohner sofort Reißaus. Noch ehe sie die Tür aufmachen kann, sind bereits etliche Tauben durch zwei kleine Luken fortgeflattert und in unerreichbarer Höhe auf den Metallträgern des angrenzenden Parkhauses gelandet. «Die sind scheu und lassen sich nicht anfassen», sagt Weber
über ihre Schützlinge. Als ehrenamtliche Helferin der Stadttaubenhilfe Mainz/ Wiesbaden kümmert sie sich um Stadttauben. Der Verein will die Zahl der Tiere auf ethisch verantwortliche Art reduzieren und kämpft zugleich für ein besseres Image der Vögel.

   Den Bauwagen am Mainzer Hauptbahnhof hat der Parkhausbetreiber finanziert. Über 100 Vögel, die früher auf den Parkdecks nisteten, nahmen die neue Unterkunft an. Jedes Pärchen hat seine feste Nistecke in einer von mehreren großen Regalwänden. «Hier tauschen wir die Eier gegen Gipseier aus», erklärt Weber, die beruflich für ein großes IT-Unternehmen arbeitet. «Die Tiere merken es überhaupt nicht.» Damit die Tauben gar nicht erst auf die Idee kommen, sich einen besseren
Brutplatz zu suchen, werden sie mit hochwertigem Körnerfutter versorgt. Ein 25-Kilo-Sack reicht gerade einmal für eine Woche.

   Da Stadttauben sehr standorttreu sind und ohne Not keine größeren Flüge in die Umgebung unternehmen, halten sich die Tiere tatsächlich fast ausschließlich in der Umgebung ihrer Taubenschläge auf. Gelegentlich fliegen weiter Tiere zu, etwa weiße Hochzeitstauben, die manche Paare zu ihrer Trauung aufsteigen lassen.

   Weber kümmert sich auch um verletzte Vögel. Zurzeit päppelt sie mehrere in ihrer Wohnung auf. An den Tauben fasziniere sie, wie zärtlich die Pärchen miteinander umgingen. Sie blieben ein Leben lang zusammen. Viele Menschen glaubten, es gehe den Tieren in den Städten gut, schließlich würden sie sich ja stark vermehren. Doch das stimme gar nicht. In der Vergangenheit seien die Vögel so gezüchtet worden, dass sie unabhängig vom Futterangebot etliche Male im Jahr brüteten. Das könne man ihnen nicht mehr abgewöhnen: «Wenn die Menschen verstehen würden, dass sie hungern und eigentlich gar nicht hierher gehören, würden sie anders über die Tauben denken.»

   Da die Tauben sich außerdem von nicht artgerechtem Futter wie Abfällen und menschlichen Essensresten ernähren müssten, seien viele krank. Und gerade der sogenannte Hungerkot greife die Bausubstanz an.

   Insbesondere seit dem Zweiten Weltkrieg hat die Zahl der Stadttauben in Deutschland stark zugenommen. Die Nachfahren verwilderter Haus- und Brieftauben gehören mittlerweile überall in Deutschland zum Stadtbild. Willkommen sind die «Ratten der Lüfte» nur an wenigen Orten. Kommunen und private Immobilienbesitzer versuchen mit mäßigem Erfolg, sich die Vögel mit Netzen oder Taubenspikes vom Halse zu halten.

   Manche Kommunen vergifteten die Tiere lange Zeit auch mit Blausäure. Noch im vergangenen Jahr empörte der genehmigte Abschuss von Tauben in einem Münchener U-Bahnhof Lokalpolitiker und Tierschutz-Aktivisten. In Mainz hat die Stadtverwaltung nach eigenen Angaben in der Vergangenheit noch nie Tauben töten lassen. Stattdessen zählt die rheinland-pfälzische Landeshauptstadt zur wachsenden Zahl von Kommunen in Deutschland, die auf das sogenannte Augsburger Modell mit Ei-Attrappen setzen.

   In Zusammenarbeit mit der Stadttaubenhilfe und dem städtischen Tierheim wurden mehrere Taubenschläge eingerichtet, darunter im Obergeschoss einer Innenstadtschule und sogar auf dem Mainzer Staatstheater. Dort werden den brütenden Tieren die Ei-Attrappen untergeschoben. «Dadurch kann auf natürliche Weise eine Reduzierung der Taubenanzahl erreicht werden», sagt ein Rathaus-Sprecher.

   Mancherorts haben mittlerweile sogar Kirchengemeinden Taubenschläge eingerichtet. So befinden sich im Dachgeschoss der Stuttgarter Leonhardskirche gleich zwei. Die Gemeinde kommt damit gewissermaßen ihrem historischen Vermächtnis nach. Denn bereits im 19. Jahrhundert hatten zwei dortige Pfarrer die Gründung des ersten deutschen Tierschutzvereins initiiert.

   Für die Betreuer ist es allerdings ein schweißtreibender Standort: Trinkwasser und Futter müssen 60 Stufen nach oben und der Taubenkot regelmäßig wieder nach unten geschleppt werden, sagt Heinz Rittberger, der das Projekt vor über 20 Jahren anstieß. Seit der erste Kirchen-Taubenschlag 2009 mit einem Gottesdienst eingeweiht wurde, haben sie über 15.000 Eier vom Dach geholt und durch Imitate
ersetzt.

   Rittberger empfiehlt auch anderen Kirchen in Vierteln mit einem Taubenproblem, sich mit den Tieren zu arrangieren. Sorgen davor, dass das Gemäuer durch die gefiederten Untermieter Schaden nimmt, seien unbegründet, sagt er: «Man kann bei uns sehen, dass es um die Kirche herum gar keinen Schmutz gibt.» Lediglich bei historischen, im Dachbereich stark verzierten Kirchen könne es zu Problemen mit dem Denkmalschutz kommen. «Im Mainzer Dom würde ich auch eher keinen Taubenschlag aufmachen», rät Rittberger den Tierschützern am Rhein.