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Hungertreiber Krieg und Klima

Welthungerhilfe-Präsidentin sieht bisherige Erfolge gefährdet. In zwei Staaten mehr als im Vorjahr herrscht akute Mangelernährung. Schlusslicht ist die Zentralafrikanische Republik

Silvia Vogt

Berlin – Kriege und bewaffnete Konflikte, fehlende Rechte für Frauen, schlechte Regierungsführung, Handelsvorteile für reiche Länder, Klimawandel: Der anhaltende Hunger in der Welt hat viele Ursachen. In den vergangenen Jahren habe sich die Lage im Weltdurchschnitt zwar verbessert, sagte die Präsidentin der Welthungerhilfe, Bärbel Dieckmann, bei der Vorstellung des Welthunger-Indexes 2017 (WHI) in Berlin. Die Zahl der hungernden Menschen sei jedoch alarmierend.
Laut UN-Angaben vom September stieg die Zahl der Hungernden weltweit innerhalb eines Jahres sogar wieder um 38 Millionen auf 815 Millionen Menschen an. Dieser Wert nahm damit nach gut einem Jahrzehnt des Rückgangs erstmals wieder zu. Der Hunger treffe vor allem Menschen in Südasien und in Afrika südlich der Sahara. In Ländern wie dem Südsudan, Nigeria, Somalia und dem Jemen drohten derzeit sogar neue Hungersnöte.
„Unser Bericht zeigt erneut, dass bewaffnete Konflikte weiterhin die größten Hungertreiber sind“, sagte Dieckmann. „Konflikte und Klimawandel treffen die Ärmsten der Armen am stärksten“, so die Welthungerhilfe-Präsidentin weiter. „All unsere bisherigen Erfolge werden dadurch gefährdet.“ Das UN-Ziel, den Hunger bis 2030 zu besiegen, könne nur durch „verstärkte Anstrengungen“ erreicht werden. Dieckmann forderte unter anderem, die Suche nach politischen Lösungen etwa bei den Kriegen in Syrien und im Jemen zu intensivieren.
Wenn sich die Entwicklung verstetige, sei das UN-Ziel nicht mehr erreichbar, obwohl Experten dies bei guter Regierungsführung sogar bis 2025 für machbar hielten, sagte Klaus von Grebmer vom Washingtoner Internationalen Forschungsinstitut für Ernährungs- und Entwicklungspolitik (IFPRI). „Den Hunger zu beenden, ist keine Hexerei“, betonte Grebmer: „Gute Regierungsführung und keine Konflikte sind die wesentlichen Faktoren, die Länder aus dem Hunger zu führen.“
Bei der Verteilung von Lebenschancen herrsche weiter „weltweit eine himmelschreiende Ungerechtigkeit“, die auch zu Hunger führe, sagte Dieckmann: „Der Mechanismus ‚arm bleibt arm‘ und ‚reich wird immer reicher‘ muss unterbrochen werden.“ Dafür müssten weltweit soziale Grundsicherungssysteme sowie Wirtschafts- und Steuersysteme eingeführt werden, die Ungleichheit abbauen.
Im Welthunger-Index werden die Werte, nach denen die Hungersituation ermittelt wird, in 43 Ländern als „niedrig“ beschrieben. In 24 Ländern sind sie als „mäßig“ und in 44 Ländern, darunter der Hälfte aller Länder in Ost- und Südostasien, als „ernst“ eingestuft. In weiteren sieben Ländern wird die Lage als „sehr ernst“ bewertet. Dazu zählen der Tschad, Liberia, Madagaskar, Sierra Leone, Sambia, der Sudan und der Jemen.
 Als „gravierend“ wird die Hungersituation in der Zentralafrikanischen Republik eingestuft. Dort seien seit 17 Jahren keine Fortschritte erzielt worden, hieß es. Damit sind zwei Staaten mehr als im Vorjahr akut von Mangelernährung betroffen. Informationen internationaler Organisationen ließen zudem vermuten, dass neun weitere Länder, die wegen fehlender Daten nicht in dem Index berücksichtigt sind, Anlass zu ernster Sorge geben, hieß es. Dazu zählen Burundi, die Demokratische Republik Kongo, Eritrea, Libyen, Somalia, der Südsudan und Syrien.
Insgesamt 14 Ländern bescheinigt der Bericht eine Verringerung ihres Index-Wertes um 50 Prozent oder mehr im Vergleich zum Jahr 2000. Dazu gehören etwa Brasilien und Peru, Senegal und China. Weitere 72 Länder verbesserten sich um 25 bis 49,9 Prozent. Schlusslichter des diesjährigen Rankings sind neben der Zentralafrikanischen Republik mit dem Tschad, Sierra Leone, Madagaskar und Sambia vier weitere Länder in Afrika. Es folgen der vom Krieg gezeichnete Jemen sowie der Sudan und Liberia.
Den Welthunger-Index ermitteln Experten des IFPRI. Seit 2006 wird der Index jährlich vom IFPRI, der Welthungerhilfe sowie der irischen Organisation Concern Worldwide veröffentlicht. Die auf Basis von Datenmaterial der Vereinten Nationen erstellte Rangliste soll Auskunft geben über den Anteil an Unterernährten, an Auszehrung und Wachstumsverzögerungen bei Kindern unter fünf Jahren sowie über deren Sterblichkeitsrate. Der aktuelle Index erfasst 119 Staaten. Westeuropa, die USA, Kanada, Australien und Neuseeland sind als reiche Länder nicht in den Index miteinbezogen worden.epd/KNA/UK