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Hochfeste für fromme Christen, Nazis und IKEA

Die Festfläche ist rund 3,8 Kilometer lang, umfasst nahezu die gesamte Innenstadt von Mainz und bietet Jahrmarkt-Attraktionen, Konzerte und Straßenkünstler sowie allerlei Stände für das leibliche Wohl. Rund 500.000 Besucher erwarten die Veranstalter bei der diesjährigen Johannisnacht vom 20. bis 23. Juni, dem größten Volksfest der rheinland-pfälzischen Landeshauptstadt. Dass der Rummel an den größten Sohn der Stadt, den Buchdruck-Erfinder Johannes Gutenberg erinnert, dürften nicht mehr alle Besucher wissen. Dass das Fest jedoch eigentlich einen religiösen Hintergrund hat, ist vermutlich nur noch einer kleinen Minderheit bekannt.

„Menschen brauchen diese Feste, selbst, wenn sie nicht mehr religiös geprägt sind“, sagt Matthias Pöhlmann, Beauftragter für Weltanschauungs- und Sektenfragen der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern. Tatsächlich ist das Johannisfest am 24. Juni seit Jahrhunderten ein Hochfest der Katholischen Kirche, und auch bei den Protestanten ist es nicht unbekannt. Es erinnert an Johannes den Täufer, einen jüdischen Prediger, der nach biblischer Überlieferung auch Jesus selbst im Jordan getauft haben soll. Den Geburtstag des Täufers hatte die frühe Kirche auf exakt sechs Monate vor Weihnachten terminiert, also auf den 24. Juni.

So wie im Fall von Weihnachten verschmolzen im Brauchtum zum Johannisfest christliche und vorchristliche Elemente – denn mit der Sommersonnenwende am 21. Juni gab es fast zeitgleich bereits bei den vorchristlichen Europäern einen wichtigen Termin im Jahreslauf. Aus dem Mittelalter ist belegt, dass in der Nacht vor dem Johannistag vielerorts in den deutschen Landen Johannisfeuer entzündet wurden, eine Tradition, die sich nicht nur in Bayern oft bis heute erhalten hat.

Besonders werden die uralten Traditionen in Nord- und Osteuropa gepflegt. So hält sich in Russland und der Ukraine der Aberglaube, nur in der Nacht vor dem – dort als Iwan-Kupala-Tag bezeichneten – Fest sei es möglich, im Wald eine blühende Farnblume zu sehen. Wer sie erblickt, könne verborgene Schätze finden und allerlei weitere magische Fähigkeiten erlangen, weswegen nächtliche Waldwanderungen nichts Ungewöhnliches sind. Pärchen springen über Lagerfeuer, weil das Glück bringen soll.

In Schweden wiederum ist Midsommar nach Weihnachten das Fest schlechthin. Es fällt immer auf den Freitag um den 21. Juni, an dem es abends kaum noch dunkel wird und der in dem skandinavischen Königreich arbeitsfrei ist. Längst sind die Feiern, zu denen viele Menschen aufs Land fahren und Frauen geflochtene Kränze aus Blumen auf dem Kopf tragen, zu einem Aushängeschild der schwedischen Kultur geworden. „Selbst IKEA nutzt das Fest stark in der Werbung“, sagt Pöhlmann.

Doch auch dubiose esoterische Zirkel und selbst Neonazis beschwören rund um Mitsommerfest und die Johannisnacht die Kräfte von Sonne, Feuer und Natur. „Wir können beobachten, dass rechtsextreme Kreise die Sommersonnenwende für eigene Zwecke instrumentalisieren“, berichtet der bayerische Weltanschauungsexperte. Schon während der NS-Diktatur waren vielerorts Sommersonnenwend-Feiern inszeniert worden – unter Berufung auf die Tradition der germanischen Ahnen und in bewusster Abgrenzung zum Christentum.

Die Kirchen tun sich etwas schwer, die christlichen Botschaften des Johannisfestes gegen Skandinavien-Romantik, neoheidnische Naturgeister und Jahrmarkttrubel zu verteidigen. Aber sie versuchen es trotzdem, selbst im Volksfest-Getümmel der Mainzer Johannisnacht. So werde es in Mainz in diesem Jahr erstmals zur Johannisnacht eine Andacht geben, berichtet Martina Horn, Kirchenvorstandsvorsitzende der evangelischen Mainzer Innenstadtgemeinden – natürlich in der Johanniskirche. „Wir werden auch die Glocken läuten“, verspricht sie. (2000/19.06.2025)