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Historiker kritisiert Steinmeiers Äußerungen in Namibia

Bundespräsident Steinmeier hat sich für eine deutsche Bitte um Entschuldigung für Kolonialverbrechen in Namibia eingesetzt. Doch ein Historiker wirft ihm Überheblichkeit vor.

Der Hamburger Historiker Jürgen Zimmerer hat Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier wegen seiner Äußerungen bei der jüngsten Namibia-Reise kritisiert. Der Bundespräsident hatte am Wochenende in Windhuk an den Begräbnisfeierlichkeiten für den im Alter von 82 Jahren verstorbenen namibischen Präsidenten Hage Geingob teilgenommen. Er bezeichnete Geingob als “großen Staatsmann” und würdigte dessen Rolle im Versöhnungsprozess der ehemaligen deutschen Kolonie mit der Bundesrepublik.

Namibia – damals als Deutsch-Südwestafrika bezeichnet – war von 1884 bis 1915 deutsche Kolonie. In dieser Zeit wurden Schätzungen zufolge rund 100.000 Angehörige der Volksgruppen der Herero und Nama gezielt getötet, Tausende wurden in Konzentrationslager gebracht. Historiker stufen die Vorgänge als ersten Völkermord des 20. Jahrhunderts ein.

Aus Sicht von Zimmerer hat Steinmeier allerdings das Andenken Geingobs missbraucht, um die umstrittene Gemeinsame Erklärung zwischen beiden Regierungen zu bekräftigen. Dabei wisse der Bundespräsident genau, dass diese Erklärung von einem Großteil der Herero und Nama, die Nachfahren der Opfer des Genozids sind, abgelehnt werde, weil sie nicht adäquat an den Verhandlungen beteiligt gewesen seien. Auch sei vor dem Verfassungsgericht in Windhuk eine Klage dagegen anhängig, betonte der Historiker in einer am Sonntag veröffentlichten Erklärung, die der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) vorliegt.

In der 2021 paraphierten “Gemeinsamen Erklärung” verständigten sich Deutschland und Namibia darauf, die Ereignisse “aus heutiger Perspektive” als Völkermord zu bezeichnen. In den nächsten 30 Jahren sollen rund 1,1 Milliarden Euro in Wiederaufbau- und Entwicklungsprojekte in Namibia fließen. Bislang allerdings fehlt die Zustimmung des namibischen Parlaments. Das Papier ist in der namibischen Öffentlichkeit weiter heftig umstritten.

Der Bundespräsident hatte zudem erklärt, er hoffe, bald nach Namibia zurückkehren zu können, um das namibische Volk um Entschuldigung zu bitten. Zimmerer sagte dazu, Steinmeier hätte auch jetzt schon eine Entschuldigung aussprechen können. “Warum bedarf es für das Eingeständnis historischer Tatsachen (Genozid) und die Übernahme moralischer Verantwortung (Entschuldigung) eines Vertrages?” Eine Entschuldigung dürfe nicht Teil eines Kuhhandels sein.

Zudem kritisierte der Historiker, dass Steinmeier offenbar mit keinem Wort auf die jüngste Kritik Geingobs an Deutschland eingegangen sei. Namibias Präsident hatte zuvor kritisiert, dass Deutschland sich gegen die südafrikanische Klage vor dem Internationalen Strafgerichtshof gegen Israel gestellt habe. Geingob unterstellte Deutschland “Unfähigkeit, aus seiner schrecklichen Geschichte zu lernen”. Berlins Unterstützung für den “Völkermord-Versuch des rassistischen israelischen Staates gegen unschuldige Zivilisten in Gaza” sei schockierend.

Zimmerer sagte dazu: “Man muss der Meinung Geingobs nicht zustimmen, aber man sollte sie ernst nehmen. Sie einfach zu verschweigen, erinnert sehr an koloniale Überheblichkeit.”