Der Mensch ist ein Gewohnheitstier und so saß zu Beginn des Sarah-Hagar-Begegnungstages am 24. November auch Hiltrud neben Anja und Ayse neben Nigar. Doch das sollte nicht lange so bleiben.
Die Organisatorinnen des ersten Schwerter Sarah-Hagar-Tages mischten die 50 teilnehmenden Frauen gleich zu Anfang an ihren Tischen. Denn Ziel des Tages sollte ein gegenseitiger Austausch sein und ein Kennenlernen über die alltäglichen Berührungsängste und vermeintlichen Grenzen hinweg. Und so saßen zum Beispiel muslimische Frauen, die zwar lange schon in Deutschland leben, aber erst jetzt einen Deutschkurs machen, neben christlichen Frauen, die in der evangelischen Kirche mitarbeiten und interessiert sind an einem interreligiösen Austausch.
Pfarrerin und Frauenreferentin Ruth Hansen eröffnete den Tag zusammen mit der muslimischen Theologin Nigar Yardim aus Duisburg. Sie erzählten von den biblischen Frauenfiguren Sarah und Hagar und ordneten die Geschichten der religiösen Urmütter in den jeweils muslimischen und christlichen Kontext ein.
Sarah und Hagar haben in der hebräischen Bibel eine wechselvolle Geschichte miteinander. Sarah ist die Ehefrau von Abraham. Sie ist die Herrin, Hagar dagegen ist ihre Sklavin, die aus Ägypten kommt.
Gott hatte Abraham immer wieder versprochen, dass sich aus seinen Nachkommen ein großes Volk entwickeln sollte. Allerdings blieb seine Frau Sarah kinderlos. Für eine Frau in der damaligen Zeit war das eine Katastrophe. Denn Kinder bekommen zu können, wurde als ihr wesentlicher Lebenszweck angesehen.
In ihrer Not kommt Sarah auf die Idee, dass ihr Mann Abraham mit ihrer Sklavin schlafen könnte. Das Kind, das dabei entstehen würde, sollte dann als Sarahs Kind angesehen werden. Eine frühe Form der Leihmutterschaft. Abraham stimmt Sarahs Plan zu. Hagar, die fremde Sklavin, wird nicht gefragt.
Als Hagar bemerkt, dass sie schwanger ist, entwickelt sich ein Konflikt zwischen den beiden Frauen, zwischen Herrin und Sklavin. Das Machtgefüge gerät durcheinander. Hagar fühlt sich Sarah überlegen und achtet sie gering. Sarah wiederum demütigt Hagar.
Mitteilung zwischen Zumutung und Rettung
Als Hagar die Demütigungen Sarahs nicht mehr ertragen kann, flieht sie. Sie läuft fort, ohne zu wissen wohin, einfach weg in die Wüste. Hier bricht sie zusammen ohne Wasser und Nahrung, ohne Hoffnung für sich und ihr ungeborenes Kind. Und genau hier, im Nirgendwo, an einer Wasserstelle mitten in der Wüste, wird sie, die Fremde, die vor Leid und Unterdrückung geflohen ist, von einem Boten Gottes gefunden. Dieser Bote kennt ihren Namen und er kennt ihre Situation.
In der Geschichte ist sie bis dahin die namenlose Sklavin, jetzt wird sie bei ihrem Namen genannt. Sie ist Hagar, die Sklavin Sarahs. Dreimal spricht der Bote sie an. Was er ihr mitteilt, das schwankt zwischen Zumutung und Rettung: Sie soll zurückkehren zu Sarah und soll dort weiterhin als ihre Sklavin leben. Aber sie erhält auch die Zusage einer Zukunft für sich und ihr ungeborenes Kind. Auch aus ihrem Sohn soll einmal ein großes Volk werden, so groß, dass man die Menge nicht zählen kann. Der Name ihres Kindes soll Ismael sein. Das heißt übersetzt: Gott hört, denn Gott hat die Klage Hagars gehört.
Gott überlässt Hagar in dieser Geschichte nicht sich selbst. Er sieht ihre Not und gibt ihr Würde und Ansehen. Hagar wird anders zurückgehen in das Haus von Sarah und Abraham. Gott sieht Hagar an und so nennt Hagar Gott dann auch: „Du bist ein Gott des Hinschauens. Du siehst mich.“ Sie ist damit der erste Mensch und die erste Frau in der Bibel, die Gott einen Namen gibt, die erste Theologin überhaupt.
Diese beiden beeindruckenden Frauengestalten inspirierten die Teilnehmerinnen über den Tag hinweg. Zwei Impulse von Aynur Akdeniz, Integrationsrat der Stadt Schwerte, und der Autorin dieses Beitrags, Leiterin des Frauenreferats der Evangelischen Kirche von Westfalen im Institut für Kirche und Gesellschaft, eröffneten das Gespräch über die eigene Lebensgeschichte und das Mutter- und Tochtersein in all seiner Vielfalt. Auch beim kulturell bunten Mittagessen riss der Gesprächsfaden unter den Frauen nicht ab.
Verschiedene Workshops luden am Nachmittag zur gemeinsamen Aktion ein. Die Frauen sangen gemeinsam türkische Kinder- und bekannte Kulturlieder sowie neues geistliches Liedgut aus dem christlichen Kontext. Eine Künstlerin lud zur Gestaltung eines gemeinsamen Kunstwerkes aus Henna und Tee ein, das später präsentiert wurde.
Das Resümee des Tages lautete: „Mehr davon!“ Bei einem nächsten Treffen solle wieder ausreichend Zeit für Begegnung sein und mehr Mädchen mitgebracht werden, damit auch christliche und muslimische Töchter einander in dem besonderen Rahmen kennenlernen können.