Am 6. April startet in Berlin ein Volksbegehren mit dem Ziel, große Wohnungsunternehmen zu enteignen. Auf der Liste steht auch die Evangelische HilfswerksiedlungVon Sibylle Sterzik
Es gibt viel Wohnfrust in Berlin. 80 von 100 Wohnungen stehen in einem Wohnblock in der Habersaathstraße in Berlin-Mitte leer. Spekulativer Leerstand. Der Besitzer wollte abreißen und laut Medienberichten Luxusappartements bauen. Die Mieten hätten sich verdoppelt. Den Bewohnern wurde bereits gekündigt. Den Abriss hat der Bezirk gestoppt. Doch der Eigentümer wehrt sich und meint, er werde an einer wirtschaftlichen Verwertung des Grundstücks gehindert. Eines von vielen schwarzen Schafen auf dem Wohnungsmarkt, nicht nur in Berlin. Dabei gehört dieser Eigentümer nicht einmal zu den „vergesellschaftungsreifen“ Wohnungsunternehmen in Berlin mit über 3000 Wohnungen, deren Bestand in gesellschaftliches Eigentum übergehen soll. Das jedenfalls will die Initiative „Deutsche Wohnen [&] Co enteignen“, deren Unterschriftensammlung für ein Volksbegehren am 6. April startet. Die einen nennen es „enteignen“, der Staats- und Verwaltungsrechtler Professor Christian Pestalozza betitelt es in einem Interview im Inforadio des RBB als „Sozialisierung“. Artikel 15 des Grundgesetzes lässt eine „Vergesellschaftung“, also eine Überführung von Grund und Boden in Gemeineigentum zu. Die Entschädigung muss dann durch ein Gesetz geregelt werden. Auf der Liste der Wohnungskonzerne mit 243000 betroffenen Wohnungen steht auch die kircheneigene Hilfswerk-Siedlung GmbH (HWS). Dagegen wurde bereits Kritik laut, etwa von Bischof Markus Dröge. Konsistorialpräsident Jörg Antoine forderte jüngst in einem Brief an die Fraktionsvorsitzenden im Abgeordnetenhaus eine deutliche Positionierung der Parteien zu dem Vorhaben, ein „klar sozial orientiertes Unternehmen wie die HWS“ zu enteignen. Unterstützung haben bisher nur CDU und FDP signalisiert.
Kein gewinnorientiertes Unternehmen„Zum Wohle der Menschen in der wachsenden Stadt“ habe die Hilfswerk-Siedlung GmbH seit ihrer Gründung im Auftrag des Rates der EKD 1952 4600 Wohnungen – überwiegend im öffentlich geförderten sozialen Mietwohnungsbau – gebaut und über 280 Millionen Euro investiert. Getreu dem Satzungsziel, eine „sozial verantwortbare Wohnungsversorgung sicherzustellen“. Diesen Weg unterstütze die Landeskirche, die wie alle Gesellschafter keine Ausschüttungen erhält, so Antoine. Hauptgesellschafter der Hilfswerk-Siedlung ist die EKBO mit 83,8 Prozent. Dazu kommen das Diakonische Werk (8,6 Prozent), die Stiftung Kronenkreuz (sechs Prozent) und die Kirchengemeinde St. Nikolai Spandau (1,6 Prozent). Erwirtschaftete Gewinne werden reinvestiert in den sozialen Wohnungsbestand, sagt Geschäftsführer Jörn von der Lieth. 35 Prozent seien Sozialwohnungen. Bei den 65 Prozent frei finanzierten Wohnungen beträgt die Miete im?Durchschnitt 6,46 Euro. Neu gebaute Wohnungen, die fünf Prozent ausmachen, kosten knapp zehn Euro pro Quadratmeter. „Wir haben mit Abstand den meisten Sozialwohnungsbestand in Berlin“, bilanziert von der Lieth. „Der Durchschnitt bei städtischen Wohnungsunternehmen liegt bei zehn Prozent, in Berlin bei sechs Prozent. Die HWS liegt fünf- bis sechsmal höher.“ Das kirchliche Wohnungsunternehmen baut neben Wohnungen, die dem Klimaschutz Rechnung tragen, auch altersgerechten Neubau. Derzeit entsteht ein Projekt in Zehlendorf, in denen Menschen mit Demenz gemeinsam mit ihren Partnern in einem Haus wohnen und sich so nicht durch Heimunterbringung trennen müssen. Im Erdgeschoss entsteht eine Demenz-WG, in den oberen barrierefreien Etagen 2-Zimmer-Wohnungen mit knapp über 40 Quadratmetern à 11,50 Euro.
Kritik an Ungleich-Behandlung Das Volksbegehren will erreichen, dass der Senat ein Gesetz erarbeitet und eine Anstalt öffentlichen Rechts (AöR), die keinen Gewinn erzielt, soll die Immobilien verwalten. Ausnahmen bilden bereits bestehende demokratisch verwaltete Unternehmen wie Genossenschaften. Die HWS arbeite „eigentlich identisch wie städtische Wohnungsgesellschaften“, wirft von der Lieth ein. Und kritisiert die Ungleichbehandlung seines Unternehmens. Bei der HWS könnte jeder Mieter werden, müsse nicht wie bei Genossenschaften Mitglied sein. Die HWS engagiere sich auch bei der Wohnraumbeschaffung für Obdachlose und Geflüchtete. In der Gropiusstadt stellt sie einer Kita die Räume bis auf die Betriebskosten frei zur Verfügung. Auch für Hartmut Fritz, Leiter der Finanzabteilung der EKBO, ist „nicht nachvollziehbar“, dass die HWS auf der Liste der zu enteignenden Wohnungsunternehmen steht. Man könne nicht nur die Größe des Wohnungsbestandes berücksichtigen, sondern auch, wie ein Unternehmen seiner sozialen Verantwortung gerecht werde. „Durch den Bestand der HWS haben gerade Menschen mit nicht so hohen Einkünften die Möglichkeit, eine Wohnung anmieten zu können.“ Auch die Abgeordnete Gaby Gottwald (Linke), die das Enteignungsbegehren unterstützt, sagte gegenüber dem Sender ntv: „Diese Gesellschaft gehört nicht auf die Liste.“
Mitinitiator: HWS von der Liste streichenDieser Meinung ist mittlerweile auch der Mitinitiator des Volksbegehrens, Rouzbeh Taheri. Er kannte das Wohnungsunternehmen nicht, schaute sich deshalb deren Wohnungsangebote an, las Geschäftsberichte und kam zu dem Schluss: „Die Mieterhöhungen sind moderat gewesen.“ Die Satzung habe er noch nicht gelesen, aber wenn sich sein Eindruck bestätige, sei die Hilfswerk-Siedlung kein rein gewinnorientiertes Unternehmen „und würde unsere Kriterien für die Enteignung nicht erfüllen. Die Evangelische Hilfswerksiedlung GmbH muss von der Liste gestrichen werden“, so Rouzbeh Taheri. Der Senat könne das bei einem Erfolg der Initiative im Gesetzentwurf berücksichtigen. Die Liste stamme vom Senat und nicht von seiner Initiative „Deutsche Wohnungen [&] Co enteignen“, erklärt Taheri. Sie sei auch noch nicht vollständig, da man nicht genau wisse, „wer was in Berlin besitzt“. Das Kriterium der Gewinnorientierung habe bei der Erstellung der Liste durch den Senat keine Rolle gespielt.