Immer mehr Wildtiere werden in Großstädten wie Berlin heimisch. «Tiere sind nicht doof», sagt der Wildtierexperte des Berliner Senats. «Sie haben längst verstanden, dass man in der Stadt in Ruhe gelassen wird.»
Berlin (epd). Wenn Berliner vom Balkon aus im nächstgelegenen Baum Eichhörnchen dabei beobachten, wie sie mit ihrem buschigen Schwanz flink den Stamm hochklettern, herrscht ungeteilte Freude über die niedlichen Tiere. Doch spätestens wenn ein Waschbär gepflegte Rasenflächen aufwühlt, hört der Spaß bei vielen auf. Die katzengroßen Säugetiere haben sich in Berlin und anderen deutschen Großstädten rasant ausgebreitet. Dabei werden sie als invasive Tierart seit Jahren intensiv bejagt.
Waschbären wurden ursprünglich für die Produktion von Pelzen aus Nordamerika nach Europa importiert. 1945 entkamen dann mehrere Tiere aus einer Pelzfarm nahe Berlin. Mittlerweile haben sie die Hauptstadt wegen idealer Lebensbedingungen für sich entdeckt.
«Hier ist der Tisch reich gedeckt», sagt Katrin Koch vom Berliner Wildtiertelefon, das der Naturschutzbund (Nabu) in Zusammenarbeit mit dem Berliner Senat betreibt. Die Allesfresser könnten hervorragend klettern, sie seien wendig, geschickt und sehr findig darin, neue Verstecke für sich und ihre Jungen zu finden, heißt es in einer Waschbär-Broschüre des Nabu. Die Tiere richteten sich auf Dachböden und Schuppen oder unter Veranden ein.
«Für die menschlichen Hausbewohner können die nachtaktiven Untermieter aber durchaus lästig werden», warnt der Nabu. «Der Waschbär ist ein pfiffiges Kerlchen, der seine Chance sofort wittert und wahrnimmt», sagt Katrin Koch. Nachts klettern die Tiere gern in Mülleimer – die tagsüber dann von Krähen durchwühlt werden. Koch
berät Bürger, wie man sie daran hindert, Häuserwände oder Fallrohre zu erklettern und in Hohlräume unter Dächern einzudringen.
Waschbären, Marder und Eichhörnchen, aber auch Wildschweine und Füchse – rund 20.000 Tier- und Pflanzenarten gibt es nach offiziellen Angaben in Berlin. «Wahrscheinlich sind es doppelt so viele», sagt Derk Ehlert. Er ist Wildtierreferent des Landes Berlin bei der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt. Beim Gang in der Abendsonne durch den frühherbstlichen Tiergarten erspäht er einen seltenen Eisvogel. «Hier sind Arten, von denen Sie nur träumen können, die Sie außerhalb der Stadt kaum sehen», schwärmt der studierte Landschaftsplaner. Und jedes Jahr kämen bis zu acht neue Arten hinzu.
Viele Wildtiere zögen sich bevorzugt in Städte zurück, da dort nicht massenhaft Schädlingsbekämpfungsmittel eingesetzt würden, die Vielfalt an Biotopen größer sei und und nicht gejagt werden dürfe. «Tiere sind nicht doof. Sie haben längst verstanden, dass man in der Stadt in Ruhe gelassen wird», sagt er und lacht.
Selbst Wölfe, die Kontakt zu Menschen grundsätzlich meiden, nähern sich Städten immer mehr an. 20 Kilometer westlich von Berlin leben sie in einem 4.500 Hektar großen Naturschutzgebiet. Aber beim Thema Wölfe setze bei vielen Menschen der Verstand aus, sagt der Wildtierexperte: «Da fangen Grimms Märchen an.» Die Vorstellung vom bösen Wolf führt er auf die Märchen zurück, aber auch auf die Bedrohung für Nutztiere durch Wölfe. Ängste findet Ehlert vor diesem Hintergrund nachvollziehbar. Aber: «Grundsätzlich steht auf dem Speiseplan des Wolfs alles, aber kein Mensch.»
Auch die Angst vor Füchsen sei unbegründet, sagt Ehlert. Wenn besorgte Eltern anriefen und fragten, ob ein vorbeikommender Fuchs ihr Kind beißen könne, antworte er: «Nein, aber ich hoffe, dass das Kind nicht den Fuchs beißt.»
Katrin Koch vom Wildtiertelefon warnt allerdings vor zu großer Nähe: «Ich würde nicht dulden, dass ein Fuchs auf meinem Sofa liegt, sondern ihn verscheuchen.» Für Ängste von Tierbesitzern angesichts von Füchsen auf dem Grundstück hat sie vollstes Verständnis, denn «der Fuchs wird alles tun, um sich an Haustieren zu delektieren».