Hamburg. Mit einem spektakulären Kran-Einsatz ist die 58 Tonnen schwere Altarwand aus der Hamburger St. Nicolaus-Kirche der Evangelischen Stiftung Alsterdorf gehievt worden. Die zwölf Meter hohe Wand mit einem Altarbild aus der NS-Zeit wurde neben der Kirche aufgestellt und soll später als Mahnmal dienen. Eine solche Baumaßnahme sei bundesweit einzigartig, sagte Alsterdorf-Vorstand Thilo von Trott. „Es gibt in Deutschland nichts Vergleichbares.“
Das umstrittene Altarbild auf der Wand stammt aus dem Jahr 1938 und zeigt den gekreuzigten Jesus umgeben von zwölf Menschen mit Heiligenschein und drei offenbar behinderten Menschen ohne Heiligenschein. Es ist als Sgraffito direkt auf den Putz gemalt. Gedeutet wird es, dass behinderte Menschen keine direkte Nähe zu Gott haben, sondern dafür Helfer benötigen. Der Anblick des Bildes sei für viele Bewohner der Stiftung „unerträglich“ gewesen, sagte Vorstand Ulrich Scheibel.
Wegen Motorschaden verzögert
Vor vier Wochen war die Altarwand aus dem Kirchengebäude herausgesägt und ein Stück weit herausgezogen worden. Jetzt wurde sie vom Kran herausgehoben und in einer Art Bassin hinter der Kirche wieder abgesetzt. Wegen eines Motorschadens verzögerte sich die Aktion um mehrere Stunden.

Die Altarwand wird künftig zentrales Element eines Lern- und Gedenkortes sein, der sich mit der Geschichte der ehemaligen Alsterdorfer Anstalten in der NS-Zeit auseinandersetzt. Auf ihrer Rückseite sollen die Namen der 511 Bewohnerinnen und Bewohner stehen, die während der NS-Zeit ermordet wurden. Geplant ist, den Gedenkort am 8. Mai 2022 zu eröffnen, dem Jahrestag des Endes des Zweiten Weltkriegs.
Die herausgebrochene Altarwand wird ersetzt durch eine Glaswand, wie sie die 1889 erbaute neugotische Kirche ursprünglich einmal hatte. Die Entfernung der Altarwand ist Teil einer umfassenden Sanierung der Stiftungskirche. Damit soll unter anderem die Barrierefreiheit verbessert werden. Sie wird für Gottesdienste, Konzerte, Feiern und Zusammenkünfte genutzt. Die Wiedereröffnung ist für Ostern 2022 geplant. Für die mehrjährige Sanierung zur „Straße der Inklusion“ sind insgesamt 15 Millionen Euro vorgesehen.
Hinter Vorhang versteckt
Das Altarbild war nach Kriegsende viele Jahre von einem dichten Vorhang weitgehend verdeckt gewesen. Dann wurde der Vorhang in kleine Teppichstücke geschnitten, sodass zuletzt der Blick auf das Bild teilweise freigegeben war.

Die Stiftung suchte jedoch nach einem offenen Umgang mit der eigenen Geschichte. Das Denkmalschutzamt forderte, dass das Altarbild als Zeugnis der nationalsozialistischen Sakralkunst erhalten bleiben muss. Eine Zerstörung der Wand schied damit aus. Auch ein Abtragen des Bildes war nicht möglich.