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Heilsame Diät für die Kirche

Religiöser Generationenvertrag funktioniert nicht, weil Protestanten den Glauben nur in loser Weise an nächste Generation weitergeben. Migrantengemeinden hingegen wachsen

K.- P. Adler - Fotolia

Greifswald – Der religiöse Generationenvertrag funktioniert nicht, weil Protestanten ihren Glauben nur in sehr loser Weise an die nächste Generation weitergeben. Darauf hat der Theologieprofessor Michael Herbst (Greifswald) bei einem internationalen Symposium des Instituts zur Erforschung von Evangelisation und Gemeindeentwicklung Ende Mai in Greifswald hingewiesen. Es stand unter dem Thema „Die Zukunft der Kirche in Europa“.
Herbst zufolge wird die Bindung an die Kirche von Generation zu Generation schwächer. Der Wille und die Fähigkeit, den christlichen Glauben an die eigenen Kinder und Enkelkinder weiterzureichen, seien bei vielen Protestanten zu schwach. Als Normalfall werde den Heranwachsenden religiöse Gleichgültigkeit überliefert. Daher sei die Talsohle für die Volkskirche noch nicht erreicht. Vielmehr sei zu erwarten, dass viele junge Kirchenmitglieder noch austreten werden. In der Gestaltung des Alltags spiele bei ihnen die christliche Botschaft keine Rolle.
Herbst: „Wir wissen das seit Langem, aber in den meisten Analysen haben wesentliche Akteure in Theologie und Kirche diese Einsicht schöngeredet und sich auf die Stabilität freundlicher Kirchendistanz verlassen, meistens verbunden mit der Anmutung, diese Kirchenmitglieder bitte auch in Ruhe zu lassen.“

Kirche in Zukunft: Kleiner, älter, ärmer

Die Kirche werde künftig kleiner, älter und ärmer. Sobald die „Babyboomer“ in Rente gingen, würden die momentan kräftigen Kirchensteuereinnahmen deutlich geringer ausfallen. Gott verordnet seiner Gemeinde nach Herbsts Worten „eine Diät, damit wir wieder auf die Beine kommen und nicht an Verfettung eingehen“. Er vermisse in der Kirche jedoch den Mut, jetzt Geld für die Mission in die Hand zu nehmen und zukunftsfähige neue Formen gemeindlichen Lebens anzuschieben. Seine Kirche komme ihm manchmal so vor wie der Knecht, der das anvertraute Pfund aus Sorge lieber im Boden vergräbt, so der Theologe.
Herbst empfahl, eine zweite EKD-Kampagne zu starten. Nach den „Kursen zum Glauben“ seien auch „Kurse zum Wachsen im Glauben“ nötig. Gemeinden müssten in die Lage versetzt werden, auch ohne ihren Pastor Gottesdienste zu feiern. Dazu sei es nötig, Theologen auszubilden, die Gemeindemitglieder zum gabenorientierten Dienst vorbereiten.

Impulse der Migrationsgemeinden aufnehmen

Die Mehrheit der Gottesdienstbesucher in deutschen Großstädten ist ausländischer Herkunft. Darauf hat die Leiterin der interkulturellen Arbeit des ökumenischen Netzes „Gemeinsam für Berlin“, Bianca Dümling, bei dem Symposium hingewiesen. Dümling zufolge ist nur ein geringer Prozentsatz der Christen mit ausländischen Wurzeln Mitglied in der evangelischen Kirche. Viele Migranten fühlten sich in deutschen Gemeinden nicht wohl und gründeten eigene Kirchen. In Deutschland gebe es zwischen 2000 und 3000 Migrantengemeinden. Etwa jeder zweite Zuwanderer sei Christ. Darunter seien syrisch-orthodoxe Gläubige, finnische Lutheraner, brasilianische und nigerianische Pfingstler, koreanische Presbyterianer und polnische Katholiken. In der Regel hätten sie keine eigenen Räume, sondern seien Untermieter in Landes- und Freikirchen. Die Lebenssituation vieler Mitglieder von Migrationskirchen sei prekär. Häufig müssten sie Schicht- oder Sonntagsarbeit leisten und könnten daher nicht regelmäßig am Gemeindeleben teilnehmen. Eine große Anzahl der Pastoren bekomme für ihre Tätigkeit kein Gehalt. Die finanzielle Lage begrenze die Wachstumsmöglichkeiten.
Dennoch komme Migrantengemeinden eine wachsende Bedeutung zu. Sie erreichten sozial schwächer gestellte Menschen, zu denen deutsche Gemeinden oft keinen Zugang hätten. Zudem erzählten Migranten öffentlich und selbstverständlich von ihrem Glauben. Dies könne auf manche befremdlich wirken. Dennoch sei es bemerkenswert, dass sie sich nicht dem Druck der Säkularisierung unterwerfen und ihren Glauben nicht verheimlichen. Mitunter komme es allerdings auch zur Selbstisolierung von Migrationskirchen. Manche Landeskirchen lehnten diese ab, etwa weil sie deren theologische Ausrichtung nicht teilten. Dümling forderte dazu auf, die Partnerschaft zwischen Landeskirchen und Migrantengemeinden zu verstärken:
„Migrationskirchen sind darauf angewiesen, dass wir ihnen die Tür zur deutschen kirchlichen Landschaft öffnen, damit sie ihr Potenzial ausschöpfen können.“ Kirchen hierzulande würden profitieren, indem sie sich von der Glaubensfreude und der Liebe zur Bibel in Migrationskirchen anstecken ließen. idea