Ein chinesisch-stämmiger Regisseur geht der Geschichte seiner Familie nach. Die lebte als Minderheit in Vietnam, musste nach der Machtergreifung der Kommunisten fliehen und ist heute auf der ganzen Welt verstreut.
In Zusammenarbeit mit filmdienst.de und der Katholischen Filmkommission gibt die KNA Tipps zu besonderen TV-Filmen:
Als im April 1975 die letzten US-Soldaten aus Vietnam abrückten und eineinhalb Millionen Einwohner vor dem kommunistischen Regime flohen, musste auch die chinesische Minderheit im Land eine neue Heimat suchen. Die Familie des Filmemachers Dieu Hao Do zerstreute sich in der Folge über drei Kontinente. Auch etliche Jahrzehnte später herrscht zwischen ihnen Funkstille.
Der in Deutschland geborene Dokumentarist erforscht die familiäre Zersplitterung im Spiegel von Erzählungen über den Umgang mit generationsübergreifenden Traumata. Seine persönliche Beschäftigung mit dem Schicksal der Exilanten wird neben den Gesprächen durch Archiv- und Fotomaterialien abgerundet.
Familie kann man sich nicht aussuchen. So könnte der aus Niedersachsen stammende Regisseur Dieu Hao Do nach Ende der Dreharbeiten zu seinem Dokumentarfilm “Hao are you” geseufzt haben, in dem er versucht, der Zerstrittenheit in seiner eigenen Familie auf den Grund zu gehen (ZDF, 4./5. Dezember, 00.20 Uhr, ab dem 1. Dezember in der ZDF-Mediathek).
Die stammt aus Ho-Chi-Minh-Stadt, gehörte aber der chinesisch-kantonesischen Minderheit in Südvietnam an. Seine Großeltern mütterlicherseits hatten sieben Kinder. Davon lebt nur noch der sogenannte Onkel zwei – in der kantonesischen Tradition werden Onkel und Tanten nach Alter durchnummeriert – in Vietnam. Die restlichen Geschwister sind wie Haos Mutter nach Deutschland, in die USA oder nach Hongkong geflüchtet und sprechen seit Ewigkeiten nicht mehr miteinander.
Warum das so ist, will der 1986 geborene Filmemacher herausfinden. Er fängt mit der Geschichte seiner Eltern an: Als seine Mutter seinen Vater kennenlernte, war dieser bereits verheiratet, verließ für die neue Liebe aber später seine erste Familie. Eltern und Geschwister der Mutter verurteilten die Verbindung als unmoralisch.
Im Laufe des Films zeigt sich, dass viele Familienmitglieder ein gutes Gedächtnis haben, wenn es darum geht, die Verfehlungen der anderen zu benennen. Dennoch fragt sich der Regisseur, ob die Zerwürfnisse innerhalb der Familie nicht primär durch den seit 1975 in Vietnam herrschenden Kommunismus und die daraus folgenden Traumata in der anschließenden Flucht begründet sind.
So erfährt man einiges über das nach dem Krieg in Vietnam entstandene Chaos und den Übergang zu einem politischen System, in dem Privateigentum als verpönt galt. Die relativ wohlhabenden Chinesen gerieten als vermeintliche Vertreter des Kapitalismus besonders ins Visier der neuen kommunistischen Machthaber.
Haos Familie – die Eltern waren Tuchhändler, Haos Vater Reisgroßhändler – wurde verhört, enteignet und hatte bald nur noch die Flucht im Sinn. Der erste gemeinsame Fluchtversuch von Kleiner Tante und Onkel drei scheiterte prompt. Beide wurden in ein Umerziehungslager geschickt und zu etlichen Monaten Zwangsarbeit verurteilt. Zahlreiche Mitglieder der chinesischen Minderheit wurden aufs Land umgesiedelt und mussten auf den Feldern schuften.
Hao erzählt die Geschichte seiner Familie aus verschiedenen Perspektiven. Er reist mit seiner Kamera nach Asien und in die USA, um Tanten und Onkel persönlich zu sprechen. Den Kontakt mit ihm akzeptieren sie, den zu seiner Mutter dagegen nicht. So sieht man neben Archivaufnahmen auch heutige Bilder aus Ho-Chi-Minh-Stadt, die Hao mit 19 Jahren zum ersten Mal besuchte. Besonders familiäre Gefühle kamen bei ihm damals nicht auf: Er fühlte sich wie ein Tourist. Etliche Jahre später besucht er dort Onkel zwei, den einzigen, der in Vietnam geblieben ist. Er hat sich als Heiratsvermittler ein kleines Vermögen aufgebaut.
Anderen Familienmitgliedern ist es weniger gut ergangen. So hat der noch vor 1975 nach Hongkong ausgewanderte Onkel eins sein im Restaurant-Business erwirtschaftetes Kapital wieder verloren. Wenn die in Los Angeles lebende älteste Tante über mangelnde Bildung, ihre vermeintliche Hässlichkeit sowie ihre Armut klagt, offenbaren sich endgültig gewisse Werte in der Familie, die Zuschauern bedenklich erscheinen mögen. Offensichtlich herrschen dort unausgesprochene Hierarchien, daneben spielt Materielles eine große Rolle. Irgendwann wird es auch um das angeblich ungerecht aufgeteilte Erbe innerhalb der Familie gehen.
Letzteres ist in Familien auf der ganzen Welt ein Streitpunkt. Bei Hao wird allerdings noch ein Mangel an Zuneigung seitens der Eltern erwähnt, der sich auf die Beziehung der Kinder untereinander übertragen habe. Natürlich spielt auch die Zersplitterung der Familie infolge der Flucht eine Rolle. Denn in den späten 1970er und frühen 1980er Jahren gelangen die Fluchtversuche. Die Onkel und Tanten, aber auch die Eltern, wurden zu “Boat People”, trieben tage- oder wochenlang auf überfüllten kleinen Schiffen im Meer herum, bevor sie von Rettungsschiffen wie der Cap Anamur aufgefangen wurden.
Hao versucht in seinem Film, allen Beteiligten Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Als schließlich auch noch seine Cousinen als Protagonisten auftreten, verliert man allerdings ein wenig den Überblick. Ihm selbst ist die Integration in Deutschland gelungen – der ersten Generation seiner Onkel und Tanten offensichtlich weniger. Die von ihnen nach Deutschland ausgewanderten kämpften mit der Sprache und konnten nicht in ihren Traumjobs arbeiten.