Das Evangelische Perthes-Werk (EPW) mit Sitz in Münster feiert am 17. März 50-jähriges Bestehen. Namensgeber ist der gebürtige Hamburger Clemens Theodor Perthes (1809-1867), Wegbereiter des nach seinem Tod 1885 gegründeten „Westfälischen Herbergsverbands“ und in seinem diakonischen Wirken maßgeblicher Impulsgeber für das 1965 gegründete EPW. Deutlich spürbar machen das die Antworten des Vorstandsvorsitzenden Rüdiger Schuch auf die Fragen von Uwe Herrmann zu aktuellen Entwicklungen, Arbeitsschwerpunkten und besonderen Herausforderungen.
„Gott hat uns Hände gegeben, nicht um sie über dem Kopf zusammenzuschlagen, sondern um mit ihnen Gutes zu tun“. Was bedeutete dieser programmatische Satz von Clemens Theodor Perthes damals und was bedeutet er heute für das Evangelische Perthes-Werk?
Clemens Theodor Perthes sah die Not vor allem der Wanderarbeiter in der Mitte des 19. Jahrhunderts, die auf der Suche nach Arbeit in die Städte strömten und zu verwahrlosen drohten. Perthes nahm diese vielfache Not bewusst wahr und ließ sie an sich heran, weil er sie nicht als selbstverschuldet deutete. Das ist umso bemerkenswerter, als er sich damit gegen den damals herrschenden Zeitgeist stellte. So reifte in ihm der Entschluss, diese Not zu wenden. Mit viel Herz, Verstand und Geschick errichtete er in Bonn 1854 daraufhin die erste „Herberge zur Heimath“.
Für uns im Evangelischen Perthes-Werk bis heute wegweisend ist das in seinem Wirken sichtbar werdende diakonische Grundmotiv, das Perthes lebte: die Not des Nächsten zu sehen und diese entschieden wenden zu wollen. Eben darum hat sich auch unser Werk zur Aufgabe gemacht, Hilfebedürftigkeit von Menschen wahrzunehmen, ihnen Gehör zu verschaffen und eine Stimme zu geben. Mit entsprechenden qualitativ hochwertigen Angeboten unterstützen, stärken, begleiten und betreuen wir Menschen mit Hilfebedarf.
Am 1. Juli 2011 wurde das Perthes-Werk neu strukturiert. Was war der Grund?
Das Perthes-Werk hat sich in den vergangenen 15, 20 Jahren zu einem größeren diakonischen Unternehmen mit den Schwerpunkten Altenhilfe, Arbeitsangebote der Behinderten- und der Sozialwerkstätten sowie Beratungs- und Wohnangebote für behinderte und sozial benachteiligte Menschen entwickelt. Anlass für die grundlegende Reform und alle weiteren Neustrukturierungsmaßnahmen war und ist bis heute eine zukunftsweisende, leistungsfähige – das heißt fachlich, wirtschaftlich und christlich verantwortete – Anpassung an die sich verändernden Rahmenbedingungen sozialer und diakonischer Arbeit.
Mit welchem Effekt?
Nun, unser Ziel ist es, im Zuge einer stärkeren Regionalisierung der Arbeit zum einen den Service bei der stationären Versorgung in den Einrichtungen zu verbessern und zum anderen mit Blick auf die voranschreitende ambulante Versorgung in den Wohnquartieren noch stärker als bisher präsent zu sein. Denn wir wollen unsere Angebote allen bedürftigen Menschen, auch in der eigenen Häuslichkeit, machen können. Der eingeschlagene Weg ist darum gut und richtig. Allerdings braucht eine solch umfangreiche Neustrukturierung Zeit, bis sie sich überall durchgesetzt hat und die verschiedenen Zahnräder reibungslos ineinandergreifen.
Zugutekommen dürfte da die traditionell gute Verankerung des Evangelischen Perthes-Werks in den Kirchengemeinden.
Das hilft in der Tat sehr. Denn gemäß dem uns von der verfassten Kirche übertragenen diakonischen Auftrag verfolgen wir seit nun 50 Jahren das Ziel, unsere Angebote und unsere Einrichtungen sehr eng vor allem mit den Kirchengemeinden, Kirchenkreisen und Vereinen vor Ort zu vernetzen. Denn Teilhabe und Teilnahme am gesellschaftlichen, kulturellen und kirchlichen Leben wird nach unserer Überzeugung nur möglich, wenn die Einrichtung ein Ort der Begegnung und des gemeinsamen Lebens wird, das heißt, sie sich in das Leben am Ort einfügt und aktiv Verbindungen knüpft. Ich darf sagen, dass uns dies in eigentlich allen Einrichtungen gelingt und ein Stück weit sicher ein besonderes Merkmal der Arbeit des Perthes-Werkes ist. So sind viele Begegnungen möglich.
Zum Beispiel?
Konfi-Gruppen sind im Rahmen ihres Diakoniepraktikums zu Gast in unseren Häusern. Schützenfeste werden dort ebenso gefeiert wie Infoabende zu Fragen rund um die Pflege. Und besonders freuen wir uns über eine treue seelsorgliche und gottesdienstliche Begleitung unserer Bewohnerinnen und Bewohner meist durch die Geistlichen der Kirchengemeinde. Ebenso sind wir sehr dankbar, dass viele Ehrenamtliche durch ihr ganz unterschiedliches, engagiertes Wirken das Leben in unseren Häusern bereichern.
nn Wie kommen diese Kontakte zustande? Gibt es Ansprechpartner in den Einrichtungen oder Gremien, die sich kümmern?
Für jede Einrichtung haben wir Kuratorien gebildet, die sich aus Vertretern der örtlichen Kirchengemeinde oder des Kirchenkreises, aus der Politik sowie aus Verbänden und Vereinen und natürlich leitenden Mitarbeitenden der Einrichtungen, der Mitarbeitervertretung, sodann der Geschäftsbereichsleitung und des Vorstandes zusammensetzen. Denn uns ist daran gelegen, unsere Arbeit transparent zu machen und offen zu sein für Anregungen, aber auch für konstruktive Kritik. Wir entwickeln so unsere Angebote stetig weiter.
Inwieweit helfen Erfahrungen aus der Hospizarbeit, über die das Evangelische Perthes-Werk als Träger eines Hospizes verfügt, in der Altenhilfe im Umgang mit Sterbenden?
In unserem Hospiz in Lüdenscheid machen wir seit vielen Jahren gute Erfahrungen mit einem Konzept, das in der Fachwelt unter dem Begriff „Palliative Care“ bekannt ist: In enger Vernetzung von Pflege, Seelsorge, Medizin, Psychologie und anderen Professionen wird den Wünschen und Bedürfnissen der Patienten – hier Gäste genannt – in der letzten Lebensphase und im Sterben sowie ihren Angehörigen in besonderer Weise entsprochen. Oftmals haben die Patienten starke Schmerzen, deren Linderung eine ungeheuer wichtige Aufgabe und nicht selten auch Herausforderung ist.
Wir verfolgen derzeit das Ziel, diesen ganzheitlichen Ansatz nun verstärkt auch in die bisher schon gute pflegerische und betreuende Arbeit in unseren stationären Altenhilfeeinrichtungen einzubinden und somit die Begleitung unserer Bewohnerinnen und Bewohner und ihrer Angehörigen zu bereichern.
Ein anderer Arbeitsschwerpunkt betrifft Arbeitsangebote, insbesondere für Erwerbslose. Angesichts der in den vergangenen Jahren rückläufigen Arbeitslosenzahl ein Sprungbrett wieder zurück in ein „normales“ Erwerbsleben?
Ja, das gelingt durchaus. Aber aufgrund veränderter Rahmenbedingungen ist es schwieriger geworden. Insofern liegt auf der so positiven Arbeitsmarktentwicklung ein großer Schatten. Denn unter den Erwerbssuchenden gibt es eine große Anzahl von Menschen, die schon über viele Jahre keine Anstellung mehr auf dem ersten Arbeitsmarkt gefunden haben. Deren Chancen sinken immer weiter, je länger sie ohne Arbeit sind. Durch gesetzliche Bestimmungen der vergangenen Jahre sind die Mittel zur Förderung von Langzeitarbeitslosen deutlich gekürzt worden. Wichtige Maßnahmen für diese Betroffenen sind so immer weniger zu realisieren.
Welche meinen Sie?
Maßnahmen, die ihnen helfen, wieder in einen festen Rhythmus von Arbeit und Freizeit zu kommen. Langzeitarbeitslose haben da oftmals enorme Schwierigkeiten. Auch die Ausdauer für eine Tätigkeit will trainiert werden. Die von uns und anderen Trägern dazu angebotenen Hilfen können wichtige Stützen sein. Doch leider sind sie nicht selten vergebens, weil die nötige Begleitung und Anleitung wegen zu enger Zeitvorgaben in vielen Fällen zu früh abgebrochen werden müssen. Ich wünsche mir von der Politik, dass gezielt und verstärkt zur Förderung dieser Menschen mehr finanzielle Mittel zur Verfügung gestellt werden.
Wie steht es denn um diejenigen, die durch Sucht oder Überschuldung in besonderen sozialen Schwierigkeiten stecken oder diejenigen, die ohne festen Wohnsitz sind?
Die Arbeit für diese in Not geratenen Menschen ist für unser Werk, das sich seiner Wurzeln in der Arbeit von Clemens Theodor Perthes und später in der damals so genannten Nichtsesshaftenhilfe sehr bewusst ist, ein besonderes Anliegen. Denn diese Menschen, deren Zahl nach unserer Feststellung zunimmt, sind Teil unserer Gesellschaft, Teil von uns. Ihre soziale Ächtung durch unsere gesellschaftliche Ignoranz ihnen gegenüber verschärft oftmals ihre Not. Nicht selten sind psychische Erkrankungen wie Depressionen oder Angstzustände die Folge.
Aktuell besorgt uns sehr, dass Wohnungssuchende mit geringem Einkommen oder besonderen sozialen Schwierigkeiten auf dem Wohnungsmarkt immer weniger Chancen auf bezahlbaren und angemessenen Wohnraum haben. Erschwerend kommt hinzu, dass immer mehr Jüngere wohnungslos sind. Auch die Zahl wohnungsloser Frauen steigt an.
Unsere Hände, um mit ihnen Gutes zu tun – um das Zitat von Clemens Theodor Perthes aufzunehmen –, werden besonders hier verstärkt vonnöten sein.