Im größten Land Mittelamerikas beginnt nach wochenlangem Bangen die Amtszeit von Präsident Bernardo Arevalo. Er soll vor allem die Korruption besiegen.
Ob Bernardo Arevalo am Sonntag tatsächlich wie vorgesehen seine Präsidentschaft beginnen kann, wird wohl bis zur letzten Minute am Seidenen Faden hängen. Die Staatsanwaltschaft und der scheidende Präsident Alejandro Giammattei haben versucht, den Wahlsieg des Linkspolitikers für unrechtmäßig zu erklären. Die bislang linke Opposition im Land macht dafür einen sogenannten Pakt der Korrupten verantwortlich. Gemeint ist ein System von Eliten, das die wichtigsten Posten in Justiz, Politik und Sicherheitsapparat unter sich aufteilt, um sich so die Macht im Land zu sichern.
Doch die Wähler durchkreuzten die Pläne. “Am 14. Januar wird in Guatemala der Sieg der Demokratie über den Pakt der Korrupten gefeiert”, sagt die Mittelamerika-Referentin des Lateinamerika-Hilfswerks Adveniat, Ines Klissenbauer, mit Blick auf Arevalos Start am Sonntag. “Insbesondere die Organisationen der indigenen Völker haben einen riesigen Anteil daran, dass Arevalo mit seiner Anti-Korruptions-Agenda jetzt das Präsidentenamt antreten kann. Sie haben protestiert und mit ihren friedlichen Aktionen das Land lahmgelegt, um jeden Versuch eines Staatsstreichs zu verhindern”, so die Expertin.
Ähnlich äußerte sich Nery Rodenas, Geschäftsführer des Menschenrechtszentrums des Erzbistums Guatemala-Stadt, zuletzt im Gespräch mit der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA). Guatemala sei keine typische Diktatur, in der eine einzige Person viele Jahre lang alle Macht ausübe; es sei “eine Diktatur des Systems, das heißt ein System, das keine anderen Aktivitäten zulässt als jene, die ihm Privilegien verschaffen”, so Rodenas.
Diese Diktatur bestehe durch eine Übernahme aller staatlichen Institutionen, eine Schwächung des demokratischen Systems, durch Verfolgung und Kriminalisierung von Gegnern. Dazu zähle auch, bestimmte Gruppen zu blockieren und den Wahlprozess zu behindern, damit sich Dinge nicht ändern und das System von Korruption, Privilegien und Straflosigkeit weiter bestehen bleiben könne.
Hilfe bekam der letztlich siegreiche Kandidat Arevalo auch von der internationalen Gemeinschaft. Die USA und Europa stellten sich eindeutig hinter ihn. In einer Telefon-Pressekonferenz warnte der Lateinamerika-Beauftragte des US-Außenministeriums, Brian Nichols, in dieser Woche noch einmal, dass eine Blockade der Amtseinführung von eine “Verletzung” der Interamerikanischen Demokratischen Charta darstellen würde: “Die USA haben zahlreiche Kooperations- und Handelsabkommen mit Guatemala abgeschlossen. All dies wäre in Gefahr, wenn es keinen demokratischen Übergang gibt”, mahnte Nichols.
Die EU, die Organisation Amerikanischer Staaten (OAS), die USA und die Vereinten Nationen hätten gemeinsam klare Kante gezeigt, indem sie Sanktionen aufrechterhalten und Reisebeschränkungen gegen jene verhängten, die einen friedlichen Übergang torpedieren wollten, so die Mittelamerika-Expertin Klissenbauer. “Guatemala ist unmissverständlich aufgezeigt worden, dass jeder Versuch, den demokratischen Willen des Volkes zu untergraben, katastrophale Folgen haben wird.”
Einen kompletten Neuanfang wagt allerdings auch Arevalo nicht. Einige seiner Kabinettsmitglieder stammen aus Vorgängerregierungen – die wiederum eigentlich den “Pakt der Korrupten” repräsentieren. Zudem gab es einen personellen Rückschlag. Die für das Energie- und Bergbauministerium vorgesehene Ministerin Anayte Guardado zog ihre Bereitschaft bereits wenige Stunden nach ihrer Nominierung wieder zurück. Laut der Zeitung “Prensa Libre” gab es Proteste aus Kreisen der indigenen Bewegungen. Guardado soll früher Umweltschützer diskreditiert haben.