Es grünt im Krisen-Grau der Wirklichkeit. In vielen Berlinale-Filmen leistet der Wildwuchs von Gärten, Gewächsen und Gefühlen Widerstand gegen repressive Zustände. Erste Beobachtungen aus dem interessanten Wettbewerb.
Eine politische Agenda, wie sie bei der diesjährigen Berlinale gefragter denn je ist, besitzt der neue Film von Olivier Assayas mit dem Titel nicht. Dafür aber jede Menge Glockenblumen, frisches Gras und sprießendes junges Laub. Der Film, mit dem Assayas aus zeitlichem Abstand und sehr persönlicher Perspektive auf die Phase der Corona-Krise zurückblickt, ist so botschaftsfrei-bescheiden, so wenig “relevant”, dass er fast an Subversion grenzt.
Schauplatz ist das Chevreuse-Tal, Zeitpunkt das Covid-Frühjahr 2020. Handelnde Personen sind Vincent Macaigne als Filmemacher und Assayas-Alter Ego, sein Buder, der Rockmusikkritiker Paul (Micha Lescot), sowie deren beider Partnerinnen (Nora Hamzawi, Nine D’Urso), die im ländlichen Elternhaus der Brüder die erste Lockdown-Phase aussitzen.
Das Haus ist vollgestopft mit Büchern und steckt wie das offene, frühlingsprächtige Grundstück und die angrenzenden Gärten noch voller Erinnerungen an die Kindheit der Brüder. Ihren Lebensmittelpunkt haben die längst woanders und auch nur noch sporadisch Kontakt zueinander, doch der Ausnahmezustand liefert den Anlass für ein längeres Wiedersehen, während der gewohnte Alltag stillgelegt ist.
Konfliktfrei geht das natürlich nicht ab. Schließlich dominiert der Ausnahmezustand. Die Angst vor Ansteckung, Krankheit und Tod geht auch im französischen Arkadien um, insbesondere beim Filmemacher, der seinen Bruder mit seinen pedantischen Hygiene-Regeln in den Wahnsinn treibt. Dennoch haben die Figuren in ihren materiell abgesicherten, bildungsbürgerlichen Verhältnissen großes Glück. Die ländliche Heimat verbindet sie miteinander und mit ihrer Familiengeschichte und erlaubt auch in Krisenzeiten eine Rückkehr. Doch auch ihre kulturelle Beheimatung, die immer dann aufblitzt, wenn sich die Figuren über Musik, Filme, Bücher unterhalten, bietet ein Refugium.
“Hors du temps” macht sich einen Spaß daraus, diesem Riesenglück nachzuspüren und es ans Publikum weiterzugeben, ähnlich wie der Filmemacher am Ende seine Besitzrechte am elterlichen Grundstück an seine kleine Tochter überschreibt. Die Premiere von “Hors du temps” fühlte sich wie ein tiefes Durchatmen an.
Doch auch die Filme, die stromlinienförmiger ins Profil der Berlinale als “politisches” Filmfestival passen, das die Probleme der Welt in den Blick nimmt, präsentierten sich in diesem Jahr nicht unbedingt als “karges Kino im Büßergewand”, das Dominik Graf jüngst in einem Artikel befürchtet hatte. Ein Highlight in den ersten Festivaltagen war der Wettbewerbsbeitrag des iranischen Regie-Duos Maryam Moghaddam und Behtash Sanaeeha, der schon vorab für Schlagzeilen sorgte, weil den Regisseuren die Reise nach Berlin vom Regime untersagt worden war.
Ihr Film entpuppt sich aber alles andere als deprimierend, obwohl der Druck, den die Mullahs auf die Bevölkerung ausüben, darin durchaus eine zentrale Rolle spielt. Doch die staatliche Repression prallt im Film auf eine betagte Frau (Lily Farhadpour), deren Knie zwar Schwierigkeiten beim Treppensteigen macht, die aber sonst der Indoktrination und der Sittenpolizei trotzt. Mahin weiß noch um frühere Zeiten, als es im Iran möglich war, mit tiefem Ausschnitt und hochhackigen Schuhen im Hyatt-Hotel ein Konzert von Al Bano & Romina Power zu besuchen.
In ihrer Wohnung und im Garten des Innenhofes sprießen neben den Gewächsen bald auch Gefühle, als die stattliche alte Frau auf Drängen ihrer Freundinnen loszieht, um der Einsamkeit ihres Witwenstandes zu entkommen. Tatsächlich schafft sie es, einen alleinstehenden Taxifahrer für sich zu interessieren. Der Rentner ist nur zu gerne bereit, der Liebe noch einmal eine Chance einzuräumen und sich von Mahin in deren Haus einladen zu lassen, wo all das auf ihn wartet, was als sittenwidrig und unreligiös verpönt ist: eine Flasche Wein, Musik und Tanz und eine Frau ohne Hijab, dafür aber mit jeder Menge aufgestauter (Lebens-)Lust.
Der Film zelebriert das Beisammensein der Figuren als Akt der Rebellion, wobei im Hintergrund aber ständig die Gefahr droht, dass die Protagonisten durch eine allzu neugierige Nachbarin angezeigt werden, oder sie sich durch die Musik verraten, zu der sie tanzen. Gerade durch die Wärme und das Licht, das diese Liebesgeschichte ausstrahlt, tritt das Dunkel, gegen das sie sich abhebt, umso markanter hervor.
Ähnliches gilt auch für . Regisseur Andreas Dresen und Drehbuchautorin Laila Stieler erzählen darin die Passionsgeschichte der NS-Widerstandskämpferin Hilde Coppi (1909-1943), die zusammen mit ihrem Mann Hans zur “Roten Kapelle” gehörte. Der Film zeichnet ihre letzten Lebensmonate von der Verhaftung 1942 über die Gefängnishaft im Frauengefängnis Barnimstraße, wo sie einen Sohn zur Welt bringt, bis zur Hinrichtung durch das Fallbeil in Berlin-Plötzensee nach.
Doch Dresen und Stieler durchkreuzen das Melodram, das eine verletzliche weibliche Opferfigur effektvoll, aber ohne falsche Effekthascherei etwa durch eine emotionalisierende Musik, als Antithese zur Brutalität des NS-Regimes inszeniert, mit a-chronologisch sich entfaltenden Impressionen, die in lichten Bildern die Vorgeschichte der Titelheldin entfalten.
Die Bekanntschaft der jungen, von Liv Lisa Fries eindringlich gespielten Frau mit dem Kreis der “Roten Kapelle”, die langsam erblühende Liebe zu Hans Coppi und dem Entschluss zum Widerstand reift vor allem in der Naturlandschaft der Berliner Badeseen, eingebettet in wachsendes Grün, Wasser und Sonnenlicht.