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Gott – Vater – Sohn

Erneut gibt es Bestrebungen, zum 1700-jährigen Jubiläum des Konzils von Nizäa 2025 ein ­gemeinsames Datum für das Osterfest mit den Orthodoxen zu finden. Der Kirchenhistoriker ­Christoph Markschies bringt Licht in eine komplexe Geschichte des ersten ökumenischen Konzils, mit dem Kaiser Konstantin 325 nach Christus sein Reich einen wollte

An den großen Festtagen – und so auch Ostern – wird in vielen Gottesdiensten ein deutlich längeres Glaubensbekenntnis als sonst gesprochen. In meinem Gesangbuch ist die entsprechende Nummer 805 überschrieben „Das Glaubensbekenntnis von Nizäa-Konstantinopel“. Nizäa ist wie Konstantinopel ein Ort, der heute in der Türkei liegt. Nizäa heißt inzwischen Iznik. Fährt man die rund 150 Kilometer von Istanbul nach Iznik, erreicht man kurz hinter der Küste einen idyllischen Kurort an einem See, der von Hügeln umgeben ist. Diese Lage war der Grund dafür, dass sich dort in der Spät­antike eine kaiserliche Sommerresidenz befand und letztlich auch der Anlass dafür, dass Kaiser Konstantin zur Feier seines zwanzigjährigen Regierungsjubiläums die Bischöfe der christlichen Kirche in seinen Palast einlud. Das Einladungsschreiben an die Bischöfe ist erhalten; der Kaiser verlegte die Synode, die ursprünglich für das weit im Landesinneren geplante heutige Ankara geplant war, der guten Luft und besseren ­Erreichbarkeit wegen nach Nizäa. Natürlich wollte der Kaiser, dem das Christentum und die Kirche aus mancherlei Gründen wichtig ge­worden waren, nicht nur mit den ­Bischöfen ein Festbankett zum ­Regierungsjubiläum feiern. Ihn ­besorgte zunehmend, dass innerhalb der Kirche schwere Konflikte aufgebrochen waren. Damit konnte die Religion in einem politisch, sozial und wirtschaftlich auseinander­brechenden Reich auch nicht die einheitsstiftende, verbindende und pazifizierende Funktion ausüben, die nach Ansicht der meisten Menschen ­damals den Religionen zukam.

Ist Christus in exakt demselben Sinne wie der Vater Gott?

Wenn heute von der großen Synode in Nizäa im Jahre 325 nach Christus die Rede ist, dann geht es in unseren Breiten meist um das erwähnte große Glaubensbekenntnis. Es gehört in den Kontext einer Auseinandersetzung um die Trinitätstheologie und den alexandrinischen Gemeindepfarrer Arius. Bischöfe und Theologen debattierten damals miteinander, ob Christus in exakt demselben Sinne wie der Vater Gott ist oder (wie die Philosophen seinerzeit meinten) lediglich in einem eingeschränkten. Der Konflikt über diese mittlerweile eher marginal wirkende Frage scheint aus heutiger Perspektive das zentrale Thema nicht nur der Synode von Nizäa, sondern der Christentumsgeschichte der römischen Kaiserzeit gewesen zu sein. Schon Goethe hat dieses Vorurteil in berühmte Verse gebracht: „Sag, was enthält die Kirchengeschichte? / Sie wird mir in Gedanken zunichte; / Es gibt unendlich viel zu lesen, / Was ist denn aber das alles gewesen? / Zwei Gegner sind es, die sich boxen, / Die Arianer und Orthodoxen, / Durch viele Säcla dasselbe geschicht, / Es dauert bis an das Jüngste Gericht.“ Die Bischofsversammlung von Nizäa gilt dann als ein Abschnitt in der unendlichen Streitgeschichte von wütenden Theologen, die sich jahrhundertelang boxen, bis zum Jüngsten Gericht. Erst da wird dann Ruhe sein.

In Wahrheit war die Synode von Nizäa, die wir mit dem lateinischen Begriff „Konzil“ für das griechische Wort „Synode“ auch als erstes ökumenisches, für die ganze Christenheit verbindliches Konzil zählen, ein Versuch, mehrere Konflikte innerhalb der antiken Christenheit zu schlichten und dazu staatliche Logistik zu nutzen. Der Kaiser war daran interessiert, dass man sich einigte (auch deswegen, weil er die Gegenstände der Streitereien selbst für im Grunde marginal hielt). Eine spezifische Richtung, in der die Probleme gelöst werden sollten, hat er aber nicht vorgegeben. Weitaus dramatischer als die Debatten über das Verhältnis von Gott Vater und Sohn war der Streit über den Termin des Osterfestes. Spätestens seit dem zweiten Jahrhundert feierten vor allem Gemeinden in Kleinasien Ostern mit Bezug auf das Datum des jüdischen Pessach-Festes am 14. Nisan des jüdischen Kalenders und wurden von ihren Gegnern wenig freundlich die „Vierzehnler“ genannt, lateinisch „Quartodezimaner“. Da die komplizierte Berechnung des Termins für Pessach jeweils auf unterschiedliche Wochentage führt (dieses Jahr begann das Fest am Samstag, 27. März, abends), lag Ostern also auch Jahr für Jahr an verschiedenen Wochentagen. Andere Gemeinden bestanden darauf, dass Ostern als Fest der Auferstehung an einem Sonntag als dem Tag der Auferstehung gefeiert wurde und die Feier immer nach Sonnenuntergang an einem Samstag begann.

Die Festlegung eines einheitlichen Ostertermins in Nizäa war ein beschämender antijüdischer Akt.

Der originale Beschluss des Konzils von Nizäa 325 nach Christus ist verloren. Aber wir besitzen einen Brief des Kaisers, in dem er darüber berichtet, dass man auf der Bischofsversammlung „einmütig beschlossen habe, dass es gut ist, wenn alle Christen überall an einem Tag Ostern feiern“ und dazu eine einheitliche, transparente Berechnung verwenden. Leider einigte man sich damals nicht auf das jüdische Festdatum, mit dem bekanntlich die historischen Ereignisse um Kreuzigung und Auferweckung Jesu von Nazareth in engster Verbindung stehen. „Nichts sei uns gemein mit dem feindlichen Volk der Juden!“, formulierte der Kaiser (beziehungsweise seine Kanzlei) und berichtete, dass es den Bischöfen „unwürdig“ erschienen sei, „der Sitte der Juden“ zu folgen. So ist – aus heutiger Perspektive gesehen – die Festlegung eines einheitlichen Ostertermins in Nizäa ein beschämender antijüdischer Akt gewesen, mit dem die nunmehr staatlich tolerierte christliche Kirche krampfhaft eine Selbstständigkeit gegenüber dem Judentum demonstrieren wollte – eine Selbstständigkeit, die historisch und theologisch besehen gar nicht besteht. Den exakten ­Berechnungsmodus verrät das Rundschreiben des Kaisers übrigens nicht; aber wir wissen aus anderen Quellen, dass man sich einigte, Ostern an einem Sonntag nach dem Frühlingsanfang und nach dem ­Pessach-Fest zu feiern.

Um eine lange Geschichte kurz zu machen: Dem Konzil gelang es gar nicht, seine Absicht, Ostern an einem einzigen Tag in der welt­weiten Christenheit einheitlich zu feiern, umzusetzen. Während man 325 nach Christus offenbar an den Frühlingsanfang als einzige Berechnungsgrundlage dachte, der nach dem Julianischen Kalender auf den 21. März fällt, wurden die Berechnungen des Ostertermins bald am ersten Vollmond nach diesem Frühlingsanfang orientiert und dem Sonntag, der auf diesen Vollmond folgt. Aber die ­entsprechenden ­komplexen Vorausberechnungen insbesondere für ­bestimmte Sonderfälle setzten ein gerüttelt Maß an astronomischem und mathematischem Fachwissen voraus; entsprechende Berechnungstechniken setzten sich daher erst im Frühmittelalter einheitlich durch. Spätestens aber zu dem Zeitpunkt, als einzelne Territorien vor allem im Westen Europas im siebzehnten Jahrhundert einen reformierten Kalender, den sogenannten gregorianischen, übernahmen, zerbrach die im Mittelalter erreichte Einheit wieder. Für eine gewisse Zeit feierten sogar in Deutschland katholische und evangelische Territorien an verschiedenen Daten Ostern, da die evangelischen Territorien den neuen „katholischen“ Kalender ­zunächst nicht einführen wollten. Heute ist die Lage immer noch ziemlich kompliziert: Die allermeisten ­orthodoxen Kirchen folgen nach wie vor dem nicht reformierten Julianischen Kalender und legen ihren Ostertermin entsprechend fest; die allermeisten evangelischen und ­katholischen Kirchen nutzen eine Berechnung auf der Basis des gregorianischen Kalenders. Entsprechend feiern wir dieses Jahr am 4. April Ostern, unsere orthodoxen Geschwister erst am 2. Mai.

Schon länger gab es Initiativen, diesen unschönen Auseinanderfall kirchlicher Gemeinschaft zu beenden – was für ein Eindruck entsteht von der weltweiten Christenheit, wenn die einen über Jesu Leiden trauern und fasten und die anderen fröhlichen Osterjubel anstimmen? In Jordanien haben sich angesichts der schwierigen christlichen Minder­heitensituation im Nahen Osten ­beispielsweise die Kirchen geeinigt, Ostern nach dem orthodoxen ­Termin und Weihnachten nach dem westkirchlichen Termin zu feiern. Entsprechende Initiativen gibt es nun auch im Vorfeld des großen Jubiläums des Konzils von Nizäa 2025. ­Natürlich ist es eine vorzügliche Idee, an diesem zentralen Punkt christlichen gottesdienstlichen Lebens Einigkeit zu demonstrieren und uralte Konflikte zu beenden. Aber wir sollten ebenso kritisch auch mit der unseligen antijüdischen Tradition von Nizäa umgehen: Pessach und Ostern gehören, auch wenn sie nicht auf einen Termin fallen, ganz eng zusammen. Aber das ist eine ­andere Geschichte.