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Gott kommt in die Welt – aber wie?

Unterschiedliche Bibelauslegungen können eine große Kraft entwickeln, findet Theologieprofessor Peter Wick.

In ihrem Podcast „Glück auf und Halleluja“ sprachen UK-Herausgeber Bernd Becker und Pfarrer Thies Friederichs  mit Peter Wick, Professor für Neues Testament in Bochum, über Weihnachten. Die Kernfrage: Ist Gott wirklich Mensch geworden? Im Folgenden eine Auswahl der Kernaussagen daraus.

Gott mischt sich in die Schöpfung ein

Schon ganz früh in der Bibel ist von „Gott und seiner Weisheit“ die Rede, etwa im Buch der Sprüche. Da zeigt sich: Gott der Alleinige ist bei sich selbst nicht allein, sondern da ist noch etwas anderes bei ihm. Und das Johannesevangelium greift dies auf, indem es von „Gott und seinem Wort“ spricht. Wer das bei Johannes 1 nachliest, stellt fest: Es schillert dann jedoch ein bisschen in den Formulierungen. Da heißt es zum Beispiel „Das Wort war bei Gott“, aber auch „Das Wort war Gott“.

„Das Wort“ ist also fast identisch mit Gott; es besteht eine sehr große Schnittmenge. Aber genauer lässt sich das nicht erklären. Was jedoch klar wird: Das Wort ist bei Gott und wird Fleisch, und dann ist letztlich Jesus Christus da. Ich formuliere das gern so: Die Schöpfung besteht nach biblischer Lehre aus Körpern. Es gibt nichts Geschaffenes, das keinen Körper hätte. Derjenige aber, der das alles schafft, ist der Körperlose.

Gott ist also eigentlich ein No-body. Und Weihnachten bedeutet, ein Teil von ihm, sein Gegenüber, das mit ihm aber total verbunden war, das nimmt nun körperliche Gestalt an. Ein Teil Gottes wechselt die Seite vom Schöpfer zur Schöpfung. An Weihnachten ist das ganz radikal. Gott mischt sich nun auf eine andere, ganz intensive Art in die Schöpfung ein.

Menschwerdung oder Adoption

Es gibt tatsächlich einige wenige Hinweise in der Bibel, die vermuten lassen, Gott hätte Jesus erst später als seinen Sohn auserwählt. Nehmen wir zum Beispiel den Anfang des Römerbriefes, wo es heißt, Gott habe Jesus Christus als seinen Sohn adoptiert.

Solche Stellen muss man allerdings im historischen Zusammenhang betrachten. Paulus wusste, dass Augustus, Tiberius, Caligula, Claudius, ja sogar Nero, Kaiser geworden sind, auch weil sie adoptiert wurden. Wie wird man also der Höchste? Durch Adoption. Das ist ganz klar die Botschaft solcher Bibelstellen.

Bei all den verschiedenen Vorstellungen, wie Weihnachten zu verstehen ist, muss man folgendes betrachten: Aus dem monotheistischen Gott (bedeutet: es gibt nur einen Gott) ist ein Teil ausgegangen und Mensch geworden. Die Autoren der biblischen Bücher und die Christinnen und Christen damals hatten nicht solch ein Weltbild, wie es für uns bis vor zwanzig Jahren noch ganz unbestritten war, nämlich: Für einen Sachverhalt gibt es die eine Erklärung.

Im Alten Orient, vor mehr als 2000 Jahren, hatte man einen sogenannten multiperspektischen Zugang zu bestimmten Themen. Das heißt, es durften durchaus Ansichten nebeneinanderstehen, die eigentlich nicht zusammenpassen, die sich teilweise sogar widersprechen. Das war zu der Zeit gar nichts Ungewöhnliches. Nach dem Schöpfungsbericht im ersten Buch Mose 1 zum Beispiel folgt gleich ein zweiter Schöpfungsbericht.

Alle die versuchten, das übereinanderzubekommen, haben es nicht verstanden. Es geht nicht darum, dass alles in der Bibel zueinander passen muss, sondern dass in all den verschiedenen Zugängen zu einem Thema Schätze liegen, die für unser Leben fruchtbar gemacht werden können. Aber um ein Bild malen zu können, in dem alles zueinander passt, dafür sind diese Geschichten eben nicht erzählt worden.

Weniger Idylle, aber mehr Heilung

Meine Idealvorstellung wäre es, dass Pfarrerinnen oder Pfarrer an einem Sonntag predigen: „Gott hat Jesus Christus angenommen und ihn zu seinem Sohn gemacht. Und so kann er uns alle annehmen und zu Söhnen und Töchtern machen.“ Und am nächsten Sonntag predigen sie darüber, Gott selbst sei Mensch geworden und habe damit eine Brücke gebaut, die es vorher überhaupt nicht gegeben hat. Nämlich die Brücke vom nicht-körperlichen Gott zu seiner durch und durch körperlichen Schöpfung.

Und wenn dann jemand protestieren sollte und sagt „Jetzt haben Sie sich aber widersprochen“ – ich glaube, dann gibt es eine fruchtbare Diskussion, die eine große Kraft haben kann. Denn ich bin überzeugt: Bibelauslegungen auf das Leben hin, die erzeugen immer eine gewisse Energie.

Es gilt allerdings festzuhalten, dass es durchaus Hauptzugänge zu der Ausgangsfrage gibt. Diese betonen, dass tatsächlich ein Teil Gottes Mensch gewonnen ist und wirklich die Seiten gewechselt hat. Das ist doch im Kern der christliche Glaube. Aber andere Interpretationen, die dürfen eben auch vorkommen und können auch mal hilfreich sein.

Es ist einfach so: Die Weihnachtsgeschichte erzeugt eine sehr große Spannung. Weihnachten ist das Fest, an dem Gott mit seinem spannungsvollen Weg in all unsere Spannungen und unser Angespanntsein hineinkommt. Es gibt dann vielleicht weniger Idylle, aber mehr Heilung und auch mehr Befreiung in all unseren Spannungen.