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Gericht entscheidet über Strafbarkeit von Akten-Veröffentlichung

Im Prozess gegen den Chefredakteur des Internetportals „FragDenStaat“, Arne Semsrott, wegen der Veröffentlichung von Gerichtsbeschlüssen aus laufenden Verfahren wird am Freitag das Urteil erwartet. Die Staatsanwaltschaft am Berliner Landgericht forderte am Mittwoch eine Geldstrafe von 40 Tagessätzen zu jeweils 50 Euro. Die Verteidigung forderte am Mittwoch zum Auftakt der Verhandlung die Aussetzung des Verfahrens. Sie hält die entsprechende Strafnorm des Paragrafen 353d Ziffer 3, auf die sich die Anklage stützt, für verfassungswidrig und forderte eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts dazu. (AZ: (536 KLs) 237 Js 3347/23 (1/24)

Der 36-jährige Angeklagte kündigte am Rande des Verfahrens an, im Falle einer Verurteilung in Revision zu gehen. Der Vorsitzende Richter Bo Meyer hatte zuvor die Einstellung des Verfahrens wegen Geringfügigkeit angeregt. Dies wurde aber vom Verteidiger Semsrotts, Lukas Theune, abgelehnt. Wegen der besonderen Bedeutung des Verfahrens für die Pressefreiheit erfolgte die Anklageerhebung direkt vor dem Landgericht, wie eine Gerichtssprecherin sagte. Nächste Instanz wäre deshalb im Rahmen eines Revisionsverfahrens der Bundesgerichtshof.

Nach Ansicht von Rechtsanwalt Theune verstößt der Strafrechtsparagraf unter anderem gegen die Medien- und Wissenschaftsfreiheit sowie gegen die Freiheit der Meinungsäußerung gemäß Europäischer Menschenrechtskonvention. Semsrott wird vorgeworfen, im Zusammenhang mit einem Verfahren der Generalstaatsanwaltschaft München gegen Mitglieder der „Letzten Generation“ wegen des Verdachts der Bildung oder Unterstützung einer kriminellen Vereinigung im vergangenen Jahr Gerichtsbeschlüsse in teilweise anonymisierter Form veröffentlicht zu haben. Die Strafnorm sieht vor, dass dies erst erfolgen darf, wenn das Gericht die amtlichen Dokumente selbst veröffentlicht oder in einer Verhandlung öffentlich erörtert hat.

Laut Verteidigung schränkt das Veröffentlichungsverbot von Gerichtsakten in laufenden Verfahren die Pressefreiheit ein. Durch das Zitierverbot aus amtlichen Gerichtsakten sei eine authentische Berichterstattung nicht möglich. Dies könne zu einer sinnentstellenden Wiedergabe von Textpassagen führen, sagte Theune. Die Möglichkeit der Veröffentlichung aus Gerichtsakten, unter Berücksichtigung des Persönlichkeitsschutzes Betroffener etwa durch Anonymisierung, diene heutzutage der Glaubwürdigkeit von Medien, sagte der Anwalt unter Verweis auf eine veränderte Medienlandschaft und Fake-News. Dazu wurde auf Antrag der Verteidigung auch die Medienwissenschaftlerin Franziska Oehmer-Pedrazzi von der Fachhochschule Graubünden als Sachverständige angehört.

Semsrott begründete sein wissentlich strafbares Handeln mit den aus seiner Sicht „tiefgehenden Grundrechtseingriffen“ der Münchner Ermittlungsbehörden gegen die „Letzte Generation“. Unter anderem sollen die Ermittler monatelang das „Pressetelefon“ der Klimaaktivisten abgehört und damit auch die Arbeit von Journalisten überwacht haben.