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Gereifter, kindlicher Glaube

Der Geigenbauer Martin Schleske spricht von der zweiten Naivität im Glauben. Gemeint ist: Als erwachsener Mensch in kindlicher Neugier gespannt sein auf Gott und ihn damit ehren

Ein hochangesehener Geigenbaumeister und Physikingenieur legt auf dem Kirchentag in Stuttgart einen Bibeltext aus: Martin Schleske. Fast scheint es, er lege sein Ohr an die alttestamentliche Weisheitsliteratur, wie er intensiv in das Holz hineinhört, aus dem er eine seiner wertvollen Geigen kreiert. So, wie er dem Instrument einen wunderbaren Klang verleiht, gelingt es ihm in seiner Bibelarbeit zu Kohelet (Buch Prediger) 3,9-13, neugierig zu machen auf das, was er die „zweite Naivität“ eines gereiften Glaubens nennt.

Drei Bücher – drei Formen der Liebe

Er sieht dabei die drei Weisheitsbücher des Alten Testaments in einem Zusammenhang. Die orthodoxe Tradition weise sie den drei Lebensaltern des Salomo zu, bemerkt er. Das Hohelied steht für den jugendlichen König. Im mittleren Lebensalter habe er die Sprüche geschrieben. Und es ist der alte Salomo, der die Lehrsprüche des Kohelet gesammelt habe. Erst gemeinsam entfalten die Schriften ihren vollen Klang.
Schleske sieht in ihnen zudem drei unterschiedliche Ausdrucksformen der Liebe zu Gott: Die junge Liebe, mit ganzer Leidenschaft, die erwachsene Liebe mit ihrer ganzen Weisheit und die reife Liebe mit ihrer ganzen Treue. „Es ist gut, wenn unsere Liebe jung bleibt, erwachsen ist und reif werden darf“, sagt er.
Und er entdeckt in Kohelet diese „zweite Naivität“, von der gleichfalls in der Kunst gesprochen wird. Sie ist nötig, um auch als reifer Mensch noch Künstler bleiben zu können. Pablo Picasso hat davon erzählt: „Als ich dreizehn Jahre alt war, konnte ich malen wie die großen Meister, aber ich habe ein Leben lang gebraucht, um zu malen wie ein Kind.“ Für Christen heißt im Glauben erwachsen zu werden: nüchtern, abgeklärt und realistisch zu sein, beobachtet der Geigenbauer. Wo aber bleibt die Neugier, „mit seinem ganzen Leben das Geheimnis Gottes zu ergründen“? Sich eine gereifte, zweite Naivität zu bewahren, bedeutet, „sich aller Erfahrungen zum Trotz im Umgang mit Gott ein fragendes, suchendes, forschendes Herz“ zu bewahren. Gerade dieses Suchen und Forschen ist eine Form der Liebe. „Zu glauben heißt, sich nicht abgefunden zu haben. Es heißt, sich nicht an Gott und diese Welt gewöhnt zu haben.“
Das Ausstrecken nach Gott kann nicht durch religiöse Bekenntnisse oder theologische Bildung ersetzt werden. „Wenn die Glut der Sehnsucht in uns erkaltet ist“, bleibt der Glaube „als die kalte Asche einer religiösen Lehrmeinung“ zurück.
Der Glaube durchwandert auf seinem Weg „Enttäuschungen und Ernüchterungen“ und reift daran. Aus der Liebe wächst eine zweite Naivität hervor. Menschen beschließen, „dennoch zu lieben, dennoch zu hoffen und dennoch zu vertrauen“.
Der reife Glaube ist eine Verbeugung der Seele vor dem Geheimnis Gottes. Glaube kennt eben nicht nur Vertrautheit, sondern auch die Gottesfurcht. Wie sieht diese Verneigung aus? „Zu wissen, dass mein Leben anders sein darf als ich es mir wünsche, und zu wissen, dass auch Gott anders sein darf als mein Glaube es ihm erlauben will“ – darin liege Gottesfurcht.

Gott – anders als mein Glaube es ihm erlaubt

Auf dem Weg gibt es Quellen, die den Glauben nicht austrocknen lassen. Für viele sind dies Lobpreis, Gesang, Musik. Musik sei „doch immer in Klang gegossenes Gebet“. Es sei das „nutzlos Schöne“, das die Seele forme. Da ist aber auch die Gemeinschaft mit „Freunden des Glaubens“, Gespräche, Dialog. Für manchen wird die Stille vor Gott zu einer unerschöpflichen Quelle. Andere finden in der Natur, im Tanz oder im kreativen Ausdruck der Kunst neue Kräfte. Wieder andere haben das „praktische und tatkräftige Anpacken“ als ihre Quelle entdeckt. Vergiss nicht, was dir gut tut, ruft die Weisheitsliteratur. Manchmal tue sie das „erschütternd einfach und banal“: „Er soll fröhlich sein und sich gütlichtun in seinem Leben. Denn ein Mensch, der isst und trinkt und hat guten Mut bei all seinen Mühen, das ist eine Gabe Gottes.“ (Kohelet 3,12+13).

Die Bibelarbeit ist online verfügbar auf www.kirchentag.de unter „Manus­kripte und Redebeiträge“.