Der Violonist Gidon Kremer gehörte zur Kunstelite der Sowjetunion und wurde auch im Westen ein Star. Wie ihm die politische Entwicklung in Russland und der Krieg nahegehen.
Der berühmte Geiger Gidon Kremer ist davon überzeugt, dass es keinen guten Krieg gibt. “Ich bin ja zum Teil wenigstens christlich aufgewachsen, auch wenn mein Vater mich immer zu einem guten Juden machen wollte”, sagte der 77-Jährige Musiker der “Süddeutschen Zeitung” (Mittwoch). Unabhängig von einem Glauben trage er gewisse Werte in sich. “Ich versuche, das Gute vom Bösen zu unterscheiden, das Böse zu durchschauen.”
Musik könne die Welt nicht retten, aber sensibilisieren und Werte vermitteln, ist Kremer überzeugt. “Allein dadurch, dass man lernt, die Schönheit zu schätzen, ist man ein anderer.” Schönheit heiße nicht Perfektion. “Wir brauchen die Freiheit, um den Dingen näher zu kommen. Wer zwischen Vorgaben eingeklemmt ist, auch jener, perfekt zu sein, der verliert die Freiheit.” Oft denke er an den Satz von Mahatma Gandhi, wonach es keinen Weg zum Frieden gebe, sondern Frieden der Weg sei.
Kremer wurde 1947 in Riga geboren, das damals zur Sowjetunion und heute wieder zu Lettland gehört. Er kenne den Druck von oben, der jetzt in Russland herrsche, so der Geiger. Als Kind habe er gelernt, in vielen Fällen besser zu schweigen: “Wir alle haben das Schweigen gelernt. Und die, die im heutigen Russland überleben wollen, sind wieder zum Schweigen gezwungen.” Im Interview räumte er ein, die Menschen dort hätten sich abgewöhnt, eine Situation kritisch zu betrachten, weil es gefährlich sei. Dabei verkümmere aber der Gerechtigkeitssinn.
Ihm selbst bedeute Gerechtigkeit sehr viel, bekannte Kremer. Aber er verstehe jeden, der in Russland lebe oder Verwandte dort habe, dass er sich der Gefahr nicht aussetzen wolle und so tue, als ob alles normal sei. Aber was da passiere, sei keinesfalls normal.
Zugleich räumte der Musiker ein, sich mitschuldig zu fühlen an der Unfähigkeit, etwas zu ändern. “Ich bin nicht jemand, der auf die Barrikaden geht, dazu bin ich wohl zu feige, aber die Verantwortung für all das, was passiert, trage ich trotzdem in mir. Aber meist still – ich spreche dann lieber mit der Sprache meiner Geige.”
Bis Ende der 1970er Jahre, als er schon im Westen gewohnt habe, habe er gehofft, weiter in der Sowjetunion auftreten zu können, erzählte der Künstler. Das sei aber abrupt nicht mehr gegangen. Obwohl er noch einen sowjetischen Pass gehabt habe, sei ihm die Einreise verweigert worden. Erst mit Gorbatschow habe sich das wieder geändert. Seit Kriegsbeginn in der Ukraine sei für ihn aber klar, dass er in Russland kaum je wieder auftreten werde, so Kremer.