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Gedichte über Sonne und Sehnsucht

Im Don-Bosco-Haus in Mölln leben Menschen mit schweren geistigen und körperlichen Behinderungen. Einige haben an einem Schreibwettbewerb für einen Kalender teilgenommen.

Zira / Fotolia

Mölln. Manchmal reichen ganz wenige Worte, um eine lange traurige Geschichte zu erzählen. Für Details ist dann kein Platz, doch wozu auch. Die Bilder entstehen im Kopf, das Gefühl im Herzen. So wie hier:
Sehnsucht
Gisela Sonne Rollstuhl
Mama Kopf
Sehnsucht Papa Friedhof besuchen
Vermissen
Sonne, Rollstuhl; zwei Wörter reichen, um die Szenerie zu skizzieren. Auf vier Zeilen entwickelt das kleine Gedicht eine außergewöhnliche Kraft. Doch diese Reduktion auf wenige Worte ist nicht am Schreibtisch eines Dichters entstanden, sondern am Sprachcomputer, mit dem Dörte Hüttmann sonst im Alltag ihre Gedanken und Bedürfnisse artikuliert. Denn Dörte Hüttmann kann weder sprechen, noch kann sie ihren Rollstuhl verlassen. Aber sie hat tiefe Emotionen, die sie in ein paar wenigen Worten mitgeteilt hat. Nicht einfach so, sondern weil sie etwas zum Thema „Luft und Liebe“ schreiben wollte. 
So lautete die Themenvorgabe für den Schreibwettbewerb des Vereins „Die Wortfinder“, an dem sich in diesem Jahr 750 Menschen mit geistiger Behinderung aus Deutschland, Österreich, Luxemburg und der Schweiz beteiligten. Mehr als 1100 Texte wurden eingesandt. Eine fünfköpfige Jury wählte die eindrücklichsten für einen literarischen Wochenkalender aus.
Aus dem Don-Bosco-Haus in Mölln, wo die meisten Bewohner mehrfach schwerstbehindert sind, machten sich 16 Autoren unterstützt von ihren Fachpädagogen an die Arbeit und schrieben Texte. Fünf schafften es mit ihren Gedichten oder literarischen Skizzen in den Kalender. Neben Dörte Hüttmann sind es Kai Müller, Markus Plock, Gerhard Hein und Sven Sönnichsen. Letzterer kann lesen und schreiben und sogar reimen. Sein Gedicht dürfte vor allem vielen Morgenmuffeln aus der Seele sprechen:
Kaffee
Kaffee ist mein Supertrank
Ohne Kaffee wird ich krank
Kaffee da, Kaffee hier
Kaffee zum Frühstück oder halb 4
Egal ob zuhause, im Wald oder am See –
Ich liebe Kaffee 
Was hier als leichtfüßiges Poem erscheint, ist das Ergebnis intensiver Arbeit. „Das ist ein langer Prozess“, sagt Fachpädagoge Uwe Morga, der im Haus für die Erwachsenenbildung verantwortlich ist. Und dieser Prozess erfordert auch von den Fachkräften viel Einsatz und Geduld. In der Therapie könnten die Grundlagen für kreatives Arbeiten vermittelt werden, der Rest unterliege dem Willen der Bewohner. 
Tagelang, oft wochenlang habe es gedauert, bis einige der Kreativen ihr Thema, ihre Idee gefunden hatten. Und oft dauerte es noch einmal eine Weile, bis die Wörter ausfindig gemacht waren, mit denen sich die Autoren ausdrücken wollten. War diese Vorarbeit allerdings geleistet, ging es vergleichsweise schnell.

Schätze entdecken

Dass sich überhaupt so viele Bewohner des Don-Bosco-Hauses am Wettbewerb beteiligt haben, liege auch daran, dass ihr Mann, Einrichtungsleiter Diakon Harry Harms, solche Förderprojekte kontinuierlich unterstütze und Fortbildungen ermögliche, erläutert Petra Harms, Vorsitzende des Don-Bosco-Trägervereins. Seit 2010, als der Wortfinder-Kalender erstmals aufgelegt wurde, beteiligen sich Bewohner der Möllner Einrichtung am Wettbewerb. 
„Wir wollen immer mitmischen und uns in die Gesellschaft hineinbewegen“, begründet Petra Harms, warum die Früchte der kreativen Arbeit der Bewohner auch nach außen getragen werden, sei es durch den Kalender, die Teilnahme an anderen Kulturprojekten oder etwa mit Auftritten in der Öffentlichkeit wie zum Beispiel bei der Bistumswallfahrt in Lübeck. „Es sind ja Schätze, die man in den Ansichten der Menschen, die hier leben, entdecken kann“, so Petra Harms mit Blick auf die Gewinner-Texte. Schätze, „die auch uns als Mitarbeiter total berühren.“
Info
Der Kalender ist für 16 Euro zuzüglich Versandkosten bestellbar unter Tel. 0521 / 560 950 30 oder per E-Mail an diewortfinder@t-online.de. Weitere Infos gibt es unter www.diewortfinder.com.