In der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 brannten Synagogen und jüdische Gemeindehäuser, auch im Gebiet unserer Kirchen. Mehr als die Hälfte aller Synagogen oder Gebetshäuser in Deutschland wurde stark beschädigt oder sogar ganz zerstört. Juden und Jüdinnen wurden gedemütigt, verhaftet und ermordet. Viele Christinnen und Christen unserer Kirchen beteiligten sich an diesen abscheulichen Verbrechen oder nahmen sie hin. Nur sehr wenige widerstanden.
Der 9. / 10. November 1938 markiert den Aufbruch zu einer bis dahin unvorstellbaren Katastrophe – denn dieser Pogromnacht folgte die Shoa, der Völkermord an circa sechs Millionen Juden.
Angesichts dieser schrecklichen Geschehnisse ist es geradezu ein Wunder, dass es heute überhaupt jüdisches Leben in Deutschland gibt. Wir freuen uns, dass sich jüdische Gemeinden aktiv entwickeln und wir mit ihnen in einen engagierten Dialog treten können. 80 Jahre nach der Pogromnacht erklären wir Jüdinnen und Juden gegenüber öffentlich unsere Scham über das, was geschehen ist, und über das Versagen vieler Christinnen und Christen.
Dies geschah vor dem Hintergrund einer theologischen Tradition, die alles Jüdische mit vermeintlich wissenschaftlichen Mitteln zu einem negativen Klischee degradierte. So wurde die Kirche blind und konnte die „Tiefe des Reichtums, beides, der Weisheit und der Erkenntnis Gottes“ (nach Römer 11,33), die sich in der so vielfältigen jüdischen Tradition wahrnehmen lassen, nicht anerkennen.
Dem Andenken der Opfer verpflichtet, bleibt es auch für die Zukunft unsere Aufgabe, den Mechanismus der Intoleranz zu durchbrechen und Respekt vor dem anderen einzufordern, um Grundlagen für ein menschliches Mit- und Füreinander zu schaffen und echte Begegnungen zu ermöglichen. Unser gemeinsamer Weg ist es, als Christen und Juden im Dialog miteinander unterwegs zu sein. Wir sehen in der biblischen Tradition die gemeinsame Wurzel jeder jüdischen und christlichen Rede von Gott, Mensch und Welt. Wer sich gegen Jüdinnen und Juden wendet, greift auch die Grundlage unseres christlichen Glaubens an.
Unser Gedenken an das Verbrechen des 9. / 10. November 1938 und an all das, was danach folgte, motiviert uns, uns entschieden gegen alle Formen der Judenfeindschaft, gegen Antijudaismus und Antisemitismus einzusetzen. Dass Juden und Jüdinnen heute in Deutschland, als Menschen jüdischen Glaubens erkennbar, unbehelligt leben können, gehört zu unserer christlichen Identität.
Annette Kurschus, Präses der Evangelischen Kirche von Westfalen
Dietmar Arends, Landessuperintendent der Lippischen Landeskirche