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„Für die Natur ein echter Gewinn“

Förster Peter Wohlleben über die Folgen des Hitzesommers 2018 für den Wald.

Mit seinem Bestseller „Das geheime Leben der Bäume“ 2016 hat Peter Wohlleben viele Menschen für den Wald sensibilisiert. Im Interview mit Angelika Prauß spricht Deutschlands wohl bekanntester Förster über die Folgen des Dürresommers 2018 und warum er ihm auch etwas Positives abgewinnen kann.

Im vergangenen Sommer fiel über sechs Monate fast kein Tropfen Regen. In Ihrem Bestseller schreiben Sie, dass Bäume bei starkem Wassermangel anfangen zu „schreien“. 2018 müssen Sie viele „Durstschreie“ vernommen haben…
Da dieses Phänomen im Ultraschallbereich auftritt, ist es für unsere Ohren nicht zu hören. Die Dürre betraf vor allem Fichten und Kiefern, also Nadelbäume. Sie kommen ursprünglich aus dem hohen Norden, aus Gebirgslagen. Aus wirtschaftlichen Gründen wurden sie dann in Tieflagen gepflanzt. Ihnen ist es bei uns immer schon zu warm und zu trocken gewesen, sie leiden nicht erst seit dem letzten Sommer. Mit dem Klimawandel verschärft sich das Dilemma jetzt aber noch mal. Nadelbäume passen hier einfach nicht hin. Laubwald dagegen hat im vergangenen Sommer nicht gelitten.

Das heißt, Laubbäume waren weniger gestresst?
Genau, aber nur, wenn die Wälder halbwegs intakt waren. In stark durchforsteten Wäldern, wo sehr viel Holz geerntet wurde und schwere Maschinen die Böden verdichtet haben, da haben auch die Laubbäume gelitten.

Hat der Dürresommer unseren Wald verändert?
Positiv gesehen wird der Dürresommer den Wald endlich mehr in Richtung Ökologie schieben. Vor rund 30 Jahren hatten wir eine ähnliche Entwicklung: 1990 gab es schwere Stürme. Sie waren Auslöser für eine ökologische Wende im Wald. Damals entschied man, mehr heimische Laubbäume zu pflanzen, weil sie viel robuster und resistenter sind. Wenige Jahre später hatte man das allerdings wieder vergessen und pflanzte wieder Nadelbäume. Jetzt werden definitiv verstärkt Laubbäume gesetzt werden – und ich hoffe, es bleibt dabei.

Jeder Waldbesucher kann also bald sehen, dass es mehr Laubbäume geben wird?
Genau. Das ist für die Natur ein echter Gewinn. Im Sommer 2018 ist ja kein echter Wald geschädigt worden, sondern Nadelholzplantagen, die ökologisch eine Katastrophe sind. Wenn man sich nun von denen verabschiedet, dann ist das zumindest eine positive Begleiterscheinung. Dann kann man dem Sommer 2018 immerhin noch etwas Gutes abgewinnen.

Gibt es irgendetwas, das Waldbesuchern in diesem Frühjahr im Vergleich zu früheren Jahren auffallen wird?
Es stehen noch überall vom Borkenkäfer befallene Fichten und Kiefern, erkennbar an ihren braunen Wipfeln. Viele Waldbesitzer haben noch gar nicht angefangen, diese Bäume zu fällen. Es ist momentan so viel Holz auf dem Markt, das will kein Mensch mehr haben.
Durch den Borkenkäferbefall werden derzeit riesige Flächen abgeholzt. Das ist eigentlich eine Katastrophe, weil dann der Boden in der heißen Sommersonne liegt und dann der ganze Humus abgebaut wird. Dabei ist er ein wichtiger Wasserspeicher für den Boden.

Stichwort Borkenkäfer – geht der nur an Nadelbäume oder auch an Laubbäume?
Es gibt eine große Vielfalt von Borkenkäfern. Man hört immer nur von „dem“ Borkenkäfer, der Fichten befällt. Jede Baumart – die Buche, die Eiche, die Esche – hat auf sie spezialisierte Borkenkäfer. Das sind Schwächeparasiten, sie können einen gesunden Baum überhaupt nicht schädigen.

Das heißt?
Er geht nur an Bäume, die sich nicht richtig wehren können. Etwa Nadelbäume, die an Orten angepflanzt wurden, wo sie eigentlich nicht hingehören. Die Fichte etwa kämpft schon mit ungewohnten Lebensbedingungen, und wenn es dann einen Sommer mit ein paar Grad mehr gibt, dann ist endgültig Feierabend. Unseren heimischen Buchen und Eichen, die in den allermeisten Fällen völlig gesund sind, kann der Käfer dagegen nichts anhaben.

Sie haben vor gut zwei Jahren eine „Waldakademie“ gegründet. Warum?
Mein Buch war überraschend erfolgreich. Ich habe mich gefragt: Was mache ich nun mit dem großen Interesse der Menschen am Thema Wald? Mit den Einnahmen habe ich die Waldakademie gegründet. Dort kann ich nun das machen, was ich schon als kleines Kind machen wollte: Naturschutz. Gerade absolvieren zehn Teilnehmer eine Waldführerausbildung. Wir möchten Menschen für die wichtigen Hintergründe interessieren, damit sie die Natur wieder lieben lernen.

Was liegt Ihnen darüber hinaus am Herzen?
Wir unterstützen auch Waldbürgerinitiativen; da passiert gerade richtig viel. Es ist sehr ermutigend, dass sich Menschen wieder um den Wald vor ihrer Haustüre kümmern und auch in einen demokratischen Diskussionsprozess einsteigen. Wir unterstützen aber auch die Forschung. In Deutschland wird am Schmerzempfinden von Pflanzen und Bäumen geforscht, auch wenn sich das sehr esoterisch anhört. Das ist aber Grundlagenforschung, zum Beispiel an der Universität Bonn. Wir setzen uns dafür ein, dass es mehr Forschungsgeld gibt.

Lässt sich aus dem großen Erfolg Ihres Buches schließen, dass die Deutschen ein besonderes Verhältnis zu „ihrem“ Wald haben?
Das Buch ist mittlerweile in 41 Sprachen übersetzt und war in etlichen Ländern ein Bestseller. Ich glaube, die Liebe zum Wald teilen Menschen in aller Welt. Die Menschen sind offenbar gar nicht so verschieden, sie ticken offenbar überall ähnlich, auch wenn uns Populisten derzeit etwas anderes weismachen wollen. Selbst in Ländern, die wie Island gar keinen Wald haben, lesen die Leute das Buch. Diese besondere Liebe zu Bäumen ist offenbar etwas zutiefst Menschliches.

Gibt es etwas, das jeder Einzelne tun kann, damit es dem Wald besser geht?
Ich gebe nur ungern Ratschläge. Wenn man die Zeitungen aufschlägt, liest man überall Horrorbotschaften, auch wenn sie durchaus berechtigt sind. Das hält man auf Dauer nicht aus.

Wie lautet Ihr Rezept?
Ich versuche es andersrum. Ich möchte die Liebe der Menschen zur Natur und zu den Bäumen entfachen. Beim Elefanten fragt sich auch niemand, warum wir ihn erhalten sollen und was er fürs Klima tut – man mag ihn einfach. Ich möchte meinen Teil dazu beitragen, dass man Bäume schön findet und liebt. Wenn wir das erreichen, dann macht man automatisch das Richtige und schützt ihre Heimat, den Wald.