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Friedman: Kirchen im Kampf gegen Judenhass gefordert

Über Jahrhunderte sei Antisemitismus in den Kirchen Standard gewesen, beklagt Michel Friedman. Nach dem 7. Oktober wünscht der Publizist sich mehr Engagement, digital und in der realen Welt.

Michel Friedmann glaubt nicht an ein Leben nach dem Tod
Michel Friedmann glaubt nicht an ein Leben nach dem TodImago / dts Nachrichtenagentur

Der Publizist und Anwalt Michel Friedman fordert von den Kirchen mehr Einsatz im Kampf gegen Antisemitismus. Bei einer Podiumsdiskussion im Rahmen der Digitalkonferenz re:publica in Berlin erinnert Friedman daran, dass die Kirche jahrhundertelang gegen Jüdinnen und Juden gewettert habe: “Das Argument, die Juden hätten Jesus umgebracht, hat sich überall dort ins kulturelle Gedächtnis eingebrannt, wo es das Christentum gibt.” Er selbst habe katholische Würdenträger, darunter zwei Päpste, immer wieder aufgefordert, sich stärker gegen Judenhass zu engagieren: “Über Jahrhunderte haben die Kirchen von der Kanzel herab auf Juden geschimpft. Warum sagen sie jetzt nicht jede Woche: Wir haben gelogen, die Juden sind unschuldig?”

Insgesamt habe sich jüdisches Leben nach dem Anschlag der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 stark verändert, so Friedman. Auch Dalia Grinfeld, stellvertretende Direktorin für europäische Angelegenheiten der Anti-Defamation League, einer US-amerikanischen Organisation, die sich gegen die Diskriminierung von Jüdinnen und Juden einsetzt, berichtet im Gespräch mit Friedman und Moderatorin Shelly Kupferberg, dass jüdisches Leben schon vor dem Anschlag in Deutschland nicht allzu sichtbar gewesen sei. “Ich habe viele Jahre dafür gearbeitet, jüdisches Leben in Deutschland zu öffnen. Unser Fortschritt wurde nach dem 7. Oktober 300 Jahre nach hinten versetzt”, so Grinfeld weiter.

Friedman: Gegenrede im Netz gefordert

Friedman appellierte an die Mehrheitsgesellschaft, insbesondere im Netz mehr Gegenrede zu leisten: “Die Dialogbereitschaft ist minimiert, die Gewaltbereitschaft ist enorm. Wenn jemand in den Sozialen Netzwerken ‘Tod den Juden’ schreibt, dann kommentiert etwas darunter, damit es wenigstens nicht das letzte Wort ist”. Für Extremisten aller Art sei es online sehr leicht, judenfeindliche Gerüchte zu bedienen. Das führt Dalia Grinfeld zufolge dazu, dass jüdische Kinder und Jugendliche ihre jüdische Identität im Netz verstecken, um sich vor Anfeindungen zu schützen: “Das macht noch Jahrzehnte später etwas mit der Identität junger Menschen.”