Am 19. Dezember, dem Jahrestag des Berliner Terroranschlags, wird das Mahnmal für die 12 Opfer am Breitscheidplatz eingeweiht. Dazu gehört auch ein knapp 17 Meter langer Riss, der sich vom Granitpodest der Kirche über die Treppenstufen zieht, auf denen die Namen der zwölf Getöteten stehen. Er steht für den Riss, der seit dem Attentat durch das Leben vieler Menschen geht. Mit Mahnwache, Kundgebung, Andacht in der Gedächtniskirche und einer Lichterkette wird der Opfer gedacht.
Von Martin Germer
„Für ein friedliches Miteinander aller Menschen“. In kleinen Lettern stehen diese Worte jetzt an der obersten Stufe, die hinaufführt zur Kaiser-Wilhelm-Gedächtnis-Kirche. An den Stufen darunter, deutlich größer, die Namen der zwölf Menschen, die hier vor einem Jahr durch einen terroristischen Anschlag jäh aus dem Leben gerissen wurden, daneben ihre Herkunftsländer: Deutschland, Israel, Italien, Polen, Tschechische Republik, Ukraine. Miteinander sollen sie an diesem Ort dauerhaft im Gedächtnis bleiben. Ein golden ausgefüllter Riss quer durch den Gehweg und die Stufen führt zu den Namen und zu der kleinen Inschrift hin.„Für ein friedliches Miteinander aller Menschen.“ So wurde es in einer vom Berliner Senat einberufenen Vorbereitungsgruppe bereits im Juni als Inschrift für den geplanten Gedenkort festgelegt – ebenso einstimmig, wie dann im September die Jury-Entscheidung für die Gestaltung mit dem goldenen Riss und den zwölf Namen an den Treppenstufen getroffen wurde. Aber ist das nicht zu harmlos formuliert? So fragen nicht wenige. Müsste da nicht kräftig zum Kampf gegen die religiöse Ideologie aufgerufen werden, die den Täter zu dieser unfassbaren Mordtat trieb? Müsste da nicht Klartext geredet und der „Islamismus“ als Ursache benannt werden? Gegenfrage: Ist das wirklich die Ursache? Sollte man nicht genauer hinsehen? Dann zeigt sich, dass hier ein Gewalttäter, der sich um die Regeln seines Glaubens nie sonderlich scherte, im Laufe der Zeit dazu überging, seine destruktiven Energien mit dazu passenden ideologischen Versatzstücken seiner Religion zu versehen. Offenbar stand er auch unter dem Einfluss IS-naher Radikal-Salafisten und hat dort Anschluss gesucht. Aber war das Religiöse dabei wirklich die treibende Kraft?Und was ist gewonnen, wenn alle, die auf die eine oder andere Weise als „islamistisch“ bezeichnet werden können – wissenschaftlich ist das ein sehr weiter Begriff – unter Terrorismusverdacht gestellt werden? Oder gar alle anderen Muslime gleich mit, wenn sie ihre Religion öffentlich praktizieren, weil in der Alltagssprache „islamisch“ und „islamistisch“ oftmals verwechselt werden? Würden wir damit nicht eher das fatale Wechselspiel von Ausgrenzung und Abgrenzung befördern?„Für ein friedliches Miteinander aller Menschen.“ Wenn man diese Worte ernst nimmt, haben sie es in sich: Friedlich zusammenleben – mit allen Menschen. Wie fremd sie uns auch erscheinen mögen. Wie abweisend sie uns womöglich auch bisher begegnet sind. Und das nicht als Forderung an andere, sondern zuerst immer als Aufgabe und Herausforderung für uns selbst!An der Gedächtniskirche haben wir in diesem Jahr immer wieder dem Andenken an die Opfer Raum gegeben, haben für die Verletzten und die Angehörigen gebetet und tun dies auch weiterhin, ganz besonders am 19. Dezember, dem Jahrestag des Anschlages. Ihr Gedächtnis ist jetzt sichtbar Teil des Gedenkens an Krieg und Gewalt, das diese Kirche mitten in der Stadt wachhält und das sie so nachdrücklich zum Mahnmal für Frieden und Versöhnung hat werden lassen. Parallel dazu haben wir schon im Januar die Kooperationsanfrage der Neuköllner Dar-as-Salam-Moschee aufgenommen und zusammen mit ihr zum interreligiösen Friedensgebet im Gedenken an die Opfer des Anschlags eingeladen. Wir haben dort Menschen kennengelernt, die ebenso wie wir für ein friedliches Miteinander aller Menschen eintreten und die dafür eine Menge einzusetzen bereit sind. So haben wir uns auf den Weg der Begegnung begeben mit Muslimen, die in unserer Stadt ihren Glauben leben, längst über diese eine Moscheegemeinde hinaus. Kritik hat auch das provoziert, bei manchen. Aber aus Kritik kann ja ebenfalls Begegnung werden. Dazu laden wir ein.
19. 12.: Ab 14 Uhr Gedenken auf dem Breitscheidplatz, Mahnwache neben dem Gedenkort. Alle sind eingeladen, Kerzen zu entzünden. 18.30 Uhr: ökumenisches Friedensgebet mit dem Friedenslicht von Bethlehem in der Kirche. 19.30 Uhr: Friedenskundgebung auf dem Platz mit Liedern von Jocelyn B. Smith. Zum Gedenken an die zwölf Todesopfer läuten ab 20.02 Uhr, dem Zeitpunkt des Anschlages, die Glocken der Gedächtniskirche zwölf Minuten lang. Besucher sind eingeladen, eine Lichterkette um die Kirche zu bilden. Kerzen werden ausgegeben. Der Weihnachtsmarkt bleibt am 19.12. geschlossen.