Der französische Politologe Alfred Grosser ist tot. Er starb am Mittwoch im Alter von 99 Jahren in Paris, wie seine Familie am Donnerstag bestätigte. Sein Name ist eng mit der deutsch-französischen Verständigung nach dem Zweiten Weltkrieg verbunden. Der in Deutschland geborene Intellektuelle mit jüdischen Wurzeln lehrte von 1955 bis 1992 als Professor an der Pariser Elitehochschule Sciences Po (Institut d’etudes politiques de Paris).
Grosser wurde 1925 als Sohn eines jüdischen Kinderarztes in Frankfurt am Main geboren. Sein Vater hatte als deutscher Soldat im Ersten Weltkrieg gekämpft und war mit dem Eisernen Kreuz Erster Klasse ausgezeichnet worden. Die Familie floh vor den Nationalsozialisten 1933 nach Frankreich, wo der Vater kurz nach der Ankunft starb. Die Mutter erhielt 1937 mit ihren Kindern die französische Staatsbürgerschaft. Das bewahrte sie 1939 vor der Internierung.
Grosser sagte von sich: “In Frankreich gehöre ich dazu, Deutschland begleite ich von außen.” Er hat mehr als 30 Bücher geschrieben. Dabei erklärte er Deutschland den Franzosen und Frankreich den Deutschen. Ab 1965 war er Mitarbeiter zahlreicher Zeitungen und Fernsehanstalten. Unter anderem schrieb er Kolumnen für die Tageszeitungen “La Croix” und “Ouest-France”. 2014 hielt er im Bundestag die Gedenkrede zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges 100 Jahre zuvor. Für seine Rolle als Mittler zwischen Deutschen und Franzosen wurde er vielfach geehrt. 1975 bekam er den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels.
Kritisch befasste er sich mit der Politik Israels und der Erinnerungskultur in Deutschland. “Wenn jetzt immer vom christlich-jüdischen Abendland gesprochen wird, dann wird mir als Jude regelrecht schlecht.” Man müsse Israel kritisieren können, ohne gleich als Antisemit abgestempelt zu werden. Auch unterstützte er den Schriftsteller Martin Walser, der in seiner Rede bei der Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels 1998 davon gesprochen hatte, dass sich “Auschwitz” nicht als “Moralkeule” eigne.
Grosser, der sich als christlich beeinflussten Atheisten beschrieb, erwies sich immer wieder auch als kritischer Beobachter der christlichen Kirchen.