Der ehemalige Vizekanzler und SPD-Chef prangert an, dass in Deutschland täglich Menschen ganz alleine stürben. Er hat eine Idee, was sich dagegen tun ließe. Und er berichtet, wie seine Mutter ihn Solidarität gelehrt hat.
Der SPD-Politiker Franz Müntefering (84) sieht in Einsamkeit ein wachsendes Problem für die Gesellschaft. “Jeden Tag sterben in Deutschland Menschen ganz alleine”, sagte Müntefering der “Augsburger Allgemeinen”. Die Gesellschaft müsse überlegen, was sie dagegen tun könne. “Ich könnte mir vorstellen, dass Kommunen Sozialarbeiter und Sozialarbeiterinnen beschäftigen, die sich um einsame Menschen kümmern, die mal anrufen oder vorbeikommen, es aber auch akzeptieren, wenn jemand sagt: Danke, aber ich will nur meine Ruhe haben.”
Der frühere Vizekanzler und SPD-Vorsitzende ergänzte: “Ich habe das bei meiner Mutter selbst erlebt, bei der der katholische Frauendienst jede Woche zwei- oder dreimal vorbeigeschaut hat. Die hatten Zeit, die tranken Kaffee und erzählten sich viel. Dieses Sich-Kümmern kommt mir heute oft zu kurz. Einsamkeit kann schrecklich sein.”
Müntefering erzählte darüber hinaus, wie seine Mutter ihm einst solidarisches Verhalten beigebracht habe: “Das war nach dem Krieg, ich war noch ein kleiner Junge, als einer der vielen Bettler, die damals unterwegs waren, an die Tür klopfte – nicht gewaschen, nicht gekämmt und auch nicht gerade gut riechend. Er habe Hunger, klagte er, worauf meine Mutter ihn hereinbat und sagte: Ich kann Ihnen einen Teller Milchsuppe machen oder eine Schnitte. Als der Mann nach dem Essen aufgestanden und gegangen war, habe ich zu meiner Mutter gesagt, dass ich das gut finde, dass sie ihm hilft.”
Müntefering berichtete, er habe dann allerdings noch gefragt, ob es nicht gereicht hätte, dem Bettler einfach etwas zu essen vor die Tür zu bringen. Daraufhin habe seine Mutter gesagt: “Man zwingt einen Menschen nicht, im Stehen zu essen.” Müntefering fügte an: “Das hatte für sie etwas mit Würde zu tun, mit Nächstenliebe – einen Menschen so zu akzeptieren, wie er ist. Damit beginnt Solidarität.”