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Fontanes Patenkind Hans Sternheim

Eine schmerzliche Erinnerung am Ende des Fontane-Jahres

Von Klaus Brosig

Im September dieses Jahres besuchte Theodor Fontane unser kleines Dorf Etzin im Havelland. Er war 1861 schon einmal für ein paar Stunden hier, mit zwei Briefen hatte er beim Pfarrer angefragt, ob sich ein Besuch lohnen würde. Der Etziner Pfarrer bejahte und wies auch auf interessantes Material im Pfarrarchiv hin. Beide trafen sich zu einem Rundgang in der Kirche, dann blieben sie vor einem Bild stehen: das Bildnis des Feldpredigers Joachim Friedrich Seegebart.

Fontane zeichnete sich den auffallend schönen Rahmen des Bildes in sein Notizbuch. Aus Berlin wusste er: Seegebarts Name stand 1742 in vielen Zeitungen und war die Nachricht des Tages. Hatte Seegebart doch im Ersten Schlesischen Krieg 1742 durch seine „Heldentat“ als Feldprediger eine Schlacht mitentschieden und wurde vom König dafür mit der Pfarre Etzin belohnt. Fontane machte sich ein paar Notizen und wanderte weiter nach Paretz. Im Band „Havelland“ seiner „Wanderungen“ hat er über seinen Besuch ein paar Seiten geschrieben.

An diesen Besuch 1861 haben wir im September in unserer Kirche erinnert. Wir wollten Fontane noch einmal begrüßen. Kirchenälteste lasen aus dem Etzin-Kapitel seiner „Wanderungen“, die Band „Alaska“ spielte einen Preußenmarsch und noch ganz andere Lieder. Wusste Fontane doch, „dass hinterm Berge auch noch Leute wohnen. Und mitunter noch ganz andre.“

Der andere Fontane

Anschließend saßen wir mit den Gästen noch auf der Wiese hinterm Pfarrhaus, bei Kaffee und Kuchen sprachen wir über Fontane und das Dorf, damals und heute. Wir hatten das Gefühl, es war doch alles gut geworden. Fontane-Jahr im Havelland – auch bei uns in Etzin!

In den Tagen darauf sortierte ich alles, was ich für die Vorbereitungen dieses Fontane-Nachmittages gebraucht hatte, an seinen Platz. Am Computer noch ein paar Dateien zusammenschieben – da fand ich einen Ordner „Fontane und die Juden“ und wusste, was da so drin war: Fontanes judenschmähende, ja auch judenfeindliche Äußerungen in manchen Briefen, Notizen aus der Fontane-Forschung, ob man nicht doch von Fontanes Antisemitismus sprechen müsse. Nein, sagen andere, er sei doch mit vielen Juden befreundet gewesen und habe doch selbst bekannt, „persönlich von den Juden bis diesen Tag nur Gutes erfahren“ zu haben. Die Diskussion darüber, ob Fontane Antisemit war oder nicht, klang für mich immer nach Fontanes „einerseits – andererseits“. Aber dieser gewisse Ton war ja auch sein Markenzeichen! Am Ende blieb dann meist nur noch: „Ein weites Feld …“

Ich wollte schon alles zumachen, aber ein Unterordner mit dem schönen Namen „Fontanes Widmung für sein Patenkind“ fiel mir auf. Vor über 15 Jahren hatte ich in einem Buch das Faksimile einer Widmung Fontanes für sein Patenkind Hans Sternheim zu dessen Konfirmation 1894 gefunden:

„Das Alte hast Du. Hier das Neue. Dem Neuen die Liebe, dem Alten die Treue. So stehe, von nichts geschieden, getrennt, Fortan auf doppeltem Fundament.“ Zuerst wunderte ich mich, dass Fontane Pate eines jüdischen Kindes war, dann gefiel mir seine Widmung, denn sie hatte nichts Übergriffiges, im Sinne von: „So, nun gehörst Du zu uns, den Christen!“

Fontane kannte aus seinem Bekanntenkreis nicht wenige Juden, die sich im Kaiserreich taufen ließen. Sie wurden von Fontane akzeptiert, und mit einigen war er auch befreundet.

So wie mit Marie Sternheim, der Mutter seines Patenkindes, bei den Fontanes ein gern gesehener Gast. Fontane schrieb über sie: „… es war als ob ein Stern in den hellen Balkon hereinschien …“ Doch auch ihr gegenüber konnte er seine mitunter verletzenden Äußerungen zur „Judenfrage“ nicht lassen, auch wenn sie von ihr nicht unwidersprochen blieben. Ihre Freundschaft hielt das aus.

Was wurde aus Hans Sternheim?

Das alles fand ich interessant – doch plötzlich wich meine Verwunderung über die wieder­gefundene Widmung einer Beschämung: Warum habe ich mich nie gefragt, was aus Fontanes Patenkind Hans Sternheim geworden ist? Diese Frage musste sich doch aufdrängen: 1880 geboren, 1935 Nürnberger Rassengesetze – Hans Sternheim war da 55 Jahre alt: Hatte er die nächsten zehn Jahre als Jude überlebt? War er doch für die Nazis trotz Taufe und Konfirmation Jude geblieben.

Als Soldat im Ersten Weltkrieg mit dem Eisernen Kreuz I. Klasse ausgezeichnet, hoffte Hans Sternheim, zusammen mit seiner Frau zu überleben. 1905 hatte er Ida Maria, geborene Eschwege aus dem Hamburger Judenviertel geheiratet. Sie lebten in Berlin und hatten eine Tochter, Käthe. Hans Sternheim war Mit­begründer des „Fontane-Abends“, einer literarischen Gesellschaft, die sich um die Herausgabe der Werke Fontanes verdient gemacht hat.

Die Nürnberger Gesetze verschärften die Repressionen gegen die Juden. Hans Sternheim musste seine Druckerei aufgeben und wurde in finanzieller Not dazu gezwungen, seine kostbaren Bücher unter Wert zu verkaufen. 1942 deportierte man Hans Sternheim und seine Frau nach Theresienstadt.

Sternheims Tochter, von einem nichtjüdischen Offizier geschieden, gelang es, mit ihrem Kind unterzutauchen und in der Lausitz unentdeckt die Befreiung vom Schrecken der Verfolgung 1945 zu erleben. Nicht überlebt haben ihre Eltern. Hans und Ida Maria Sternheim kamen 1944 in das Vernichtungslager Auschwitz und wurden dort im gleichen Jahr ermordet.

Im Oktober übergab die Hamburger Universitäts- und Staatsbibliothek Bücher aus Hans Sternheims Bibliothek, die er verkaufen musste, an die Enkelin Ingrid Mertens. Die Bücher hatten sich im Bestand der Universität befunden. Die Enkelin, 90-jährig und in Berlin lebend, schenkte sie anschließend der Universität.

Eine Geste der Versöhnung? Einerseits. Aber nicht ohne ein Andererseits. Ingrid Mertens erinnerte in der Feierstunde an den Antisemitismus, der in Deutschland wieder zunimmt und mahnte: „Möge auch durch Ihre Wachsamkeit nicht aus dem ‚Nie wieder‘ ein ‚Doch wieder‘ werden.“

Ja, lieber Theodor Fontane, das ist jetzt kein zu weites Feld.

Klaus Brosig ist Pfarrer in Ruhe und lebt in?Etzin im Havelland.