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Filmemacher diskutieren Zukunft von Geschichtsdokumentationen

Filmemacher aus aller Welt tagen derzeit in Halle und diskutieren die Herausforderungen von Geschichts-Dokus in einer immer komplexeren Welt. Es geht um Kriege, Gleichberechtigung, Klimakrise und die Verantwortungsfrage.

Auf dem Markt der Geschichtsdokumentionen für Film und Fernsehen herrscht große Konkurrenz. “Für einige in der Branche geht es gerade um alles”, sagt Gunnar Dedio. Der Geschäftsführer der Progress Film freut sich umso mehr über die rege Teilnahme am “Progress History Summit” in Halle/Saale. Das noch bis Samstag laufende internationale Netzwerktreffen wird gemeinsam von Progress, dem Haus des Dokumentarfilms, arte sowie dem MDR ausgerichtet.

Es findet im Rahmen des Silbersalz Festivals nach einer mehr als zehnjährigen Pause statt. Über 400 Filmregisseure, Produzenten und Journalisten aus aller Welt haben sich für die Konferenz für Filmemacher akkreditiert. “Multiperspektivität ist uns sehr wichtig. Deswegen haben wir private und auch konfessionelle Anbieter angesprochen und eingeladen”, sagt Dedio.

Eine Programmdirektorin von TF1, dem größten privaten TV-Anbieters in Frankreich, sitzt auf dem Podium, ebenso ein Programmkoordinator und Redakteur von Al Jazeera Documentary. So soll auch die Perspektive der arabischen Welt in die Diskussionen einfließen. Doch nicht nur die Frage nach Perspektiven aus unterschiedlichen Kulturräumen wird in der Händel-Halle diskutiert. Bei allen Veranstaltungen sind neben Filmproduzenten auch Fachleute aus Literatur, Wissenschaft oder Politik vertreten.

Für die Podiumsdiskussion “Frauen machen Geschichte – verschwiegen oder gefeiert?” kamen prominente Gäste wie Fatou Bensouda, Staatsanwältin am Internationalen Strafgerichtshof, und Rula Ghani, Ehefrau des letzten Staatspräsident der Islamischen Republik Afghanistan, nach Sachsen-Anhalt. Im Mittelpunkt ihres Austausches stand die Bedeutung von Filmarchiven für die Geschichtsüberlieferung, gerade in Kulturen, in denen die mündliche Überlieferung vorherrschend ist. In weiteren Podien ging es um die Erschaffung einer Nation durch Narrative oder die Frage, ob künstliche Intelligenz “Fluch oder Segen” für die Neugestaltung der Geschichtsschreibung sei.

Bis zum Abschluss des Kongresses stehen Medienzensur, Kriegsberichterstattung sowie die Frage nach dem Einfluss von “Helden und Schurken” in Filmdokumentationen auf dem Programm. Zudem gibt eine Filmpremiere: “Deep Rising” von Matthieu Rytz ist zum ersten Mal in Deutschland zu sehen. Der kanadische Dokumentarfilm thematisiert die Bedrohung des Ökosystems der Tiefseegräben, der tiefsten Stellen der Ozeane, durch Wirtschaftsinteressen.

Weshalb fiel die Wahl auf Halle als Standort für den Summit? “Wir haben mit Mitteldeutschland eine Region, die sehr stark von den Umbrüchen des 20. Jahrhunderts betroffen ist. Deshalb finde ich es gut, dass ein internationaler Kongress in eine Stadt kommt, in der Geschichte auf der Straße passiert und dort heute noch zu spüren ist”, sagt Anais Roth, Mitorganisatorin und Leiterin des geschichtlichen Arbeitskreises der ARD. Der arte-Deutschland-Geschäftsführer Markus Nierenstein wünscht sich, dass die Filmemacher nach der Konferenz die Frage umtreibe: “Wie können wir alle die Herausforderungen, die sich durch den wissenschaftlichen Fortschritt oder den Klimawandel ergeben, so darstellen, dass sie als große Aufgabe für die gesamte Menschheit sichtbar werden?”

Die Erwartungen von Dedio an den Kongress sind gleichermaßen hoch: “Dieser Summit ist wichtig, weil wir gerade zusehen müssen, wie in der Welt ein Krieg nach dem anderen ausbricht. Sie werden auf der Grundlage von historischen Narrativen geführt, die teils sehr fragwürdig sind. Die gesamte Medienbranche muss die Frage reflektieren: Was ist unsere Verantwortung?” Geschichte sei nicht das, was einfach stattfinde, so Dedio. Eine Person komme, wähle aus und baue dann aus diesen Elementen eine Erzählung.