Nach Einschätzung der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche Deutschlands (EKD), Bischöfin Kirsten Fehrs, wird es in der für Januar angekündigten Missbrauchsstudie mehr als die bislang bekannten rund 900 Fälle geben. Im quantitativen Teil der Studie werde bestimmt eine höhere Zahl stehen, sagte die Hamburger Bischöfin dem Berliner “Tagesspiegel” (Samstag). Die Vorstellung der sogenannten Forum-Studie ist für den 25. Januar in Hannover vorgesehen.
Fehrs plädierte zudem für externe Standards bei der Aufarbeitung von sexualisierter Gewalt und Missbrauch in der Kirche. “Ich fände es sehr wichtig, dass es ein staatliches Aufarbeitungsgesetz gibt, das allen Betroffenen einen Rechtsanspruch auf Aufarbeitung ihrer Fälle gibt, unabhängig, ob sie in den Kirchen, im Sport, in den Schulen oder Familien stattfanden”, sagte Fehrs “So ein Gesetz würde Standards schaffen, die dann für alle gelten.”
Fehrs ist seit November amtierende Ratsvorsitzende der EKD, nachdem Annette Kurschus von diesem Amt zurückgetreten war. Kurschus war vorgeworfen worden, in einem Fall sexuellen Fehlverhaltens eines Kirchenmitarbeiters versucht zu haben, dieses zu vertuschen.
Weiter erklärte Fehrs, sie gehe davon aus, dass es “schmerzhafte Erkenntnisse geben wird im Blick darauf, wie wir in der Vergangenheit mit Fällen von sexualisierter Gewalt umgegangen sind”. Zugleich betonte sie, “aber wir erstarren nicht in Angst wie das Kaninchen vor der Schlange: Wir wollen diese Studie, wir haben sie initiiert, und geben 3,6 Millionen Euro dafür aus”. Die katholische Kirche in Deutschland veröffentlichte vor fünf Jahren eine Studie über Missbrauchsfälle in ihren Reihen.
Sie hoffe, so Fehrs, dass die Studie die ganze Bandbreite der Risikofaktoren für sexualisierte Gewalt in allen Bereichen des kirchlichen Lebens zeige, von der Diakonie über die Gemeindearbeit, von der Kirchenmusik bis zum Leben im Pfarrhaus und der Verknüpfung von familiärer sexualisierter Gewalt mit der Gemeindearbeit. Die evangelische Kirche hatte Mitte Dezember zusammen mit der Missbrauchsbeauftragten der Bundesregierung, Kerstin Claus, eine Gemeinsame ErklärIchung unterzeichnet. Sie verpflichtet sich damit zur strukturellen Aufarbeitung von Missbrauch.