„Haben Sie aufgrund des Fachkräftemangels Schwierigkeiten, Stellen neu zu besetzen?“ – Franziska Woellert, die Leiterin der Initiative „Evangelisches Gütesiegel Familienorientierung“, fordert die Teilnehmenden des Workshops im April in Berlin auf, sich entsprechend ihren Erfahrungen auf einer imaginären Linie durch den Seminarraum aufzustellen. Es ist der Auftakt zum ersten Begleitworkshop der Pilotphase zur Zertifizierung mit dem Evangelischen Gütesiegel Familienorientierung. Das Gütesiegel soll als bundesweit anwendbares eingeführt werden für familienorientierte Personalpolitik in kirchlichen und diakonischen Einrichtungen.
Wenn‘s nicht passt, bleibt die Stelle unbesetzt
Hinsichtlich ihrer Organisationsstruktur, ihren Aufgabenfeldern und ihrer Größe unterscheiden sich die 14 teilnehmenden Piloteinrichtungen zum Teil erheblich. Ein Blick auf die Aufstellung der Teilnehmenden zu dieser Frage zeigt jedoch, wo sich ihre Erfahrungen treffen. Die meisten haben sich in die Nähe der Raumseite gestellt, die für die Antwort steht: „Ja, wir haben schon Stellen mittel- bis langfristig nicht besetzen können.“
Die Herausforderung, ausreichend Fachkräfte zu finden, ist eine wesentliche Triebfeder für viele der Piloteinrichtungen, sich mit ihrer familienorientierten Personalpolitik auseinanderzusetzen. Denn in Zeiten von demographischer Alterung und Schrumpfung, der Neudefinition von Genderrollen, wachsender gesellschaftlicher Vielfalt sowie technischen Innovationen und Digitalisierung spielt für viele Menschen die Vereinbarkeit von Beruf und Familie eine immer größere Rolle bei der Wahl des Arbeitsplatzes.
Dabei sind es längst nicht mehr nur Mütter kleiner Kinder, die auf Angebote zur Vereinbarkeit angewiesen sind. Väter, Mitarbeitende mit pflegebedürftigen Angehörigen und selbst Menschen ohne akute familiäre Verpflichtungen achten verstärkt auf die Familienorientierung potenzieller Arbeitgeber.
In der evangelischen Arbeitswelt ist die Berücksichtigung der familiären Situation der Mitarbeitenden keine neue Erkenntnis. Doch in kaum einer diakonischen oder kirchlichen Einrichtung ist Familienorientierung bisher Bestandteil des strategischen Personalmanagements.
Mit dem Evangelischen Gütesiegel Familienorientierung wird nun ein Verfahren entwickelt, mit dem Personalverantwortliche ihre bestehenden familienorientierten Angebote auswerten, bedarfsgerecht weiterentwickeln und nach innen wie außen transparent gestalten können. Sie zeigen sich damit nicht nur als verlässlicher Arbeitgeber für ihre Mitarbeitenden, sondern gewinnen auch einen strategischen Vorteil im Wettbewerb um die besten Fachkräfte.
Das Evangelische Gütesiegel Familienorientierung basiert auf einer gemeinsamen Initiative der Diakonie Deutschland und der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) in Kooperation mit der Führungsakademie für Kirche und Diakonie (fakd) in Berlin. In einem ersten Schritt wurden die Rahmenbedingungen für die Zertifizierung erarbeitet.
In der nun gestarteten Pilotphase geht es darum, das Verfahren in der Praxis zu testen und gegebenenfalls anzupassen, bevor es in eine Regelstruktur überführt wird. Die 14 Piloteinrichtungen werden in gut einem Jahr dabei alle Schritte zur Zertifizierung durchlaufen. Unter ihnen befinden sich auch drei Institutionen aus Westfalen.
Zwei zentrale Workshops und ein Inhouse-Tag
Begleitet wird die Pilotphase durch insgesamt zwei zentrale Workshops sowie einen Inhouse-Tag bei jedem Pilotpartner. Am Ende der Pilotphase steht die Verleihung des neuen Gütesiegels im Rahmen einer feierlichen Zeremonie.
Martin Treichel, Landesmännerpfarrer der Evangelischen Kirche von Westfalen (EKvW) und die Autorin dieses Beitrags, Fachbereichsleiterin des Frauenreferats der EKvW, sind an der Entwicklung des Evangelischen Gütesiegels Familienorientierung beteiligt.
• Weitere Informationen zum Prozess und zum Evangelischen Gütesiegel Familienorientierung gibt es im Institut für Kirche und Gesellschaft unter Telefon (0 23 04) 7 55-3 77/2 34, Internet: www.kircheundgesellschaft.de.