Die Deutsche Hochschule der Polizei analysiert in einem vom Bundesfrauenministerium geförderten Projekt mögliche Frühwarnzeichen, die auf einen bevorstehenden Intimizid oder Femizid hindeuten, also die Tötung einer Frau durch ihren Lebensgefährten oder Ex-Geliebten. Stefanie Horn ist wissenschaftliche Mitarbeiterin der Hochschule und erklärt, was den Schutz von Betroffenen erschwert. Im Interview der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) spricht sie von Betroffenen, da viele Frauen, die Gewalt erfahren haben, den Begriff “Opfer” als stigmatisierend empfinden.
KNA: Frau Horn, an jedem dritten Tag wird in Deutschland eine Frau von ihrem Partner oder Ex-Partner getötet. Warum gelingt es nicht, diese Frauen zu schützen?
Stefanie Horn: Grundsätzlich gibt es in Deutschland ein System, das Tötungsdelikte in Partnerschaften verhindern und Betroffene schützen soll. Dies besteht beispielsweise aus Schutzanordnungen, Frauenhäusern, Beratungsstellen und der Polizei.
KNA: Aber das reicht offensichtlich nicht.
Horn: Es gibt Lücken im Betroffenenschutz, das ist korrekt. Die Gründe dafür sind vielschichtig. Die Polizei setzt zur Gefährdungseinschätzung verschiedene Instrumente ein. Doch nicht immer gelingt es, hochgefährdete Betroffene zu identifizieren. Gerade in Täter-Betroffene-Konstellationen, in denen es in der Beziehung keine Gewaltvorgeschichte gibt, unterschätzen Risikoanalyseinstrumente teilweise systematisch das tatsächliche Risiko für einen Intimizid. Zudem kommen nicht alle Betroffenen in Kontakt mit Polizei oder anderen Hilfsangeboten. Trennungskonflikte sind außerdem hochdynamisch, so dass eine stets aktuelle Bewertung selbst für professionelle Dritte nur schwer zu leisten ist.
KNA: Sehen die späteren Betroffene die Eskalation nicht kommen?
Horn: Betroffene, Familienangehörige, Freunde, selbst Fachberatungsstellen sind sich über die tatsächlichen Risiken leider manchmal nicht bewusst. Das führt dann dazu, dass Betroffene dem Täter die Tür öffnen oder sich wiederholt mit ihm treffen. Gibt es gemeinsame Kinder, für die auch der Täter das Sorgerecht hat, sind Frauen häufig durch das Umgangsrecht des Vaters gezwungen, noch Kontakt zu diesem zu halten. Konflikte über das Sorgerecht verschärfen die Trennungssituation häufig zusätzlich. Selbst wenn Betroffenen ihr eigenes Risiko bewusst ist, gibt es in Deutschland viel zu wenig Plätze in Frauenhäusern.
KNA: Warum wird den Vätern dann nicht das Sorgerecht entzogen?
Horn: Damit Elternteilen das Sorgerecht entzogen wird, müssen in Deutschland sehr hohe Hürden überwunden werden. Verantwortlich hierfür ist das Familiengericht; dort wird dann häufig ein Gutachten in Auftrag gegeben, was mehrere Monate dauern kann. Zudem haben Väter, auch wenn sie nicht das Sorgerecht für ihre Kinder haben, weiterhin ein Umgangsrecht. Aktuelle Evaluationen zeigen, dass der Umgangskontakt zwischen Kindern und ihren Vätern in solchen Situationen eine Schutzlücke für die Mütter sind. Eine Lösung für einen schnellen Schutz der betroffenen Mütter wäre die Anordnung von begleiteten Umgangskontakten.
KNA: Deutschland hat die Istanbul-Konvention des Europarates zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen unterzeichnet, doch es gibt noch Nachbesserungsbedarf, wie eine Analyse gezeigt hat. In welchen Bereichen?
Horn: Im Jahr 2022 ist eine erste Evaluierung der Maßnahmen der Istanbul-Konvention erfolgt. Dieser Bericht hat gezeigt, dass es ein großes Manko ist, dass es keine allumfassende bundesweite Strategie und keine nationale Koordinierungsstelle gibt. Auch fehlt eine vollständige Datengrundlage, um das tatsächliche Ausmaß von Gewalt gegen Frauen zu erfassen. Zudem besteht die Notwendigkeit, Berufsgruppen, die potenziell mit betroffenen Frauen zu tun haben, flächendeckend zu schulen. Dazu zählen unter anderem die Familiengerichte.