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Experten: Sprache von Banken und Behörden oft unverständlich

Bürokratisches Kauderwelsch: Zum Jahresanfang erhalten viele Menschen Verwaltungspost, die nicht immer verständlich ist. Lange Sätze, Passivkonstruktionen – und jede Menge unbekannte Wörter. Wieso wird so geschrieben?

Das Deutsche hat die Eigenheit, dass man ganz lange Wörter bilden kann: “Kurzfristenergieversorgungssicherungsmaßnahmenverordnung”, zum Beispiel. Verstehen Sie auf Anhieb, was sich dahinter verbirgt?

Sprachwissenschaftlerin Christine Möhrs, die am Leibniz-Institut für Deutsche Sprache in Mannheim Verwaltungssprache erforscht, zitiert diese Wortneuschöpfung einer Verordnung der Bundesregierung gern, wenn sie über umständliche Formulierungen in Behördenbriefen oder Banken- und Versicherungspost spricht.

“Für lange Wörter und auch Sätze sind wir Deutschen bekannt”, berichtet sie von ihrer Erfahrung beim EU-Treffen zum Thema “Clear Writing”. Und natürlich sei es mitunter praktisch, dass das Deutsche solche Wortzusammensetzungen erlaube. Dennoch müsse es verständlich bleiben: “Alle Bürgerinnen und Bürger müssen eine Chance haben, Texte vom Finanzamt oder Verlautbarungen der Bundesregierung zu verstehen. In der Realität ist es aber so, dass viele Texte an ihnen vorbeigehen.”

So manchen, der einen Brief vom Finanzamt oder von der Bank bekommt, beschleicht gar das Gefühl, dass dem Absender vielleicht daran gelegen ist, nicht verstanden zu werden. Ein Eindruck, den die Sprachwissenschaftlerin – historisch betrachtet – nachvollziehen kann. “Oft waren solche Texte ganz im Duktus der Rechtsvermittlung formuliert, damit sie nur einer elitären Schicht zugänglich bleiben. Das niedere Volk sollte gar nichts verstehen.”

Das sei heute nicht mehr so – aber es gebe nach wie vor ein Grundproblem, sagt die Wissenschaftlerin, die mehrere Studien zu dem Thema geleitet hat: “Was Banken, Versicherungen oder auch die Bundesregierung vermitteln müssen, ist oft hochkomplex und geht meist auf Rechtsverordnungen zurück. Deshalb müssen die Dinge, die verlautet werden, gerichtsfest sein.”

Es sei aber ein Trugschluss, zu glauben, dass “man da nichts machen kann”. Kürzere Sätze, persönliche Ansprache, Verben statt Substantive führten zum Beispiel zu deutlich größerer Verständlichkeit, auch wenn sich Fachvokabular nicht immer vermeiden lasse.

Dieser Meinung ist auch Gidon Wagner. Seine Firma “Wortliga” hat mit einem speziellen Software-Tool jüngst die Sprache auf Websites von 19 Mittel- und Großstädten in Deutschland untersucht. Dabei zeigte sich, dass 40 Prozent der Texte etwa zur Corona-Pandemie oder Wohnungsfragen schwer verständlich waren, wie er berichtet – etwa durch Schachtelsätze, komplexe Begriffe und Passiv-Formulierungen.

“Dabei geht es auch anders: Untersuchungen aus den USA zeigen, dass Rechtssprache genauso sicher sein kann, wenn sie verständlich geschrieben ist”, sagt der Unternehmer. Der Staat könne so auch eine Menge Zeit und Geld einsparen: Rückfragen würden vermieden und Zahlungsfristen eher eingehalten, wenn die inhaltliche Botschaft beim Leser ankomme.

Um dieses Ziel zu erreichen, gibt es das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz – auch ein Wort, dessen eigene Barrierefreiheit durchaus überdenkenswert wäre. Es soll 2025 in Kraft treten und schreibt die Verwendung einer einfach verständlichen Sprache im Internet sowie im analogen Raum vor.

Dass das noch lange nicht so ist, weiß Ute Helfferich vom Projekt “Verbraucher stärken im Quartier” des Verbraucherzentralen Bundesverbandes. “Viele unserer Ratsuchenden verstehen die Briefe nicht, die sie von Ämtern bekommen. Das ist wirklich ein Problem”, sagt sie. Manchmal könne dies zu Fristüberschreitungen führen: “Den Menschen wird dann unterstellt, dass sie sich absichtlich nicht gemeldet haben. Dabei konnten sie es gar nicht, weil sie nicht verstanden haben, was man von ihnen wollte.”

Abschlag, Bonitätsprüfung, Ersatzversorgung: Es ist gar nicht so einfach, solche Wörter zu erklären. Helfferich hat deshalb gemeinsam mit Kolleginnen das “Wörterbuch der Verbraucherbegriffe” entwickelt. Um zu testen, ob die Menschen es wirklich verstehen, hat vorher eine Prüfgruppe aus Klienten darauf geschaut – die auch die ursprüngliche Zielgruppe sind. “Verletzliche Verbraucher”, wie es Helfferich formuliert – etwa Menschen, die der deutschen Sprache nicht mächtig sind oder deutsche Muttersprachler, die nicht gewohnt sind, Texte mit schwierigen Wörtern zu lesen. “Für die soll es ein Steigbügel bei der Bewältigung ihres Alltags sein.”

Was nicht heißt, dass nicht auch andere eine solche Hilfe gebrauchen können. Unverständliche Briefe – “das ist nicht nur ein Problem unserer Klienten, sondern wahrscheinlich aller Menschen”, findet Helfferich.

Dass Verwaltungstexte im Deutschen oft so kompliziert sind, sei allerdings nicht allein durch Umformulierungen zu ändern, betont Sprachwissenschaftlerin Möhrs: “Deutschland ist im Ländervergleich der König der Bürokratie – bei Corona hatten wir zum Beispiel die detailliertesten Verordnungen.” Man müsse also nicht nur an die Sprache ran – sondern auch an die Bürokratie selbst.