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Evangelisches Urgestein

15 Jahre leitete der frühere Bundesminister die Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland. Ein Mann, der sich Respekt erwarb – nicht zuletzt wegen seines Grundsatzes: „Die Sache ist alles, die Person ist nichts.“ Jetzt wurde Jürgen Schmude 80

Norbert Neetz

„Dr. Schmude ist ein schmaler, hochgewachsener Mann, der durch seine liebenswürdige Korrektheit Vertrauen einflößt“, so beschrieb 1988 die DDR-Bürgerrechtlerin Bärbel Bohley den früheren SPD-Bundesminister. Nachdem ein Jahr darauf die Mauer fiel, war Jürgen Schmude als Präses der EKD-Synode maßgeblich an der Wiedervereinigung der Evangelischen Kirche in Deutschland beteiligt. An diesem Donnerstag wurde der Politiker und Mann der Kirche 80 Jahre alt.
Die deutsche Frage zieht sich durch das Leben des Sozialdemokraten. 1944 muss er im Alter von acht Jahren die Heimat im ostpreußischen Insterburg verlassen. Die bis dahin wohlhabende Kaufmannsfamilie flüchtet nach Pommern und landet dann am Niederrhein. „Moers bedeutete für mich CVJM, evangelische Kirche und einen politisch sehr bewussten Pfarrer“, erinnert sich Schmude. In Moers startet er in den 1960er Jahren seine politische Karriere im Stadtrat und Kreistag. Zugleich setzt der junge Jurist alles daran, seine spätere Frau Gudrun aus der DDR zu holen. 1968 können sie in Moers heiraten. Das Paar hat zwei Kinder.
Mit 21 hatte sich Schmude der Gesamtdeutschen Volkspartei (GVP) zugewandt. Doch die Bewegung der späteren Bundespräsidenten Gustav Heinemann und Johannes Rau war bereits in der Auflösung, Schmude geht 1957 in die SPD. Heinemann wird für ihn zum Vorbild, mehrfach tritt er in dessen Fußstapfen – 1967 als Anwalt in Heinemanns Essener Kanzlei und später als Justizminister und EKD-Synodenpräses.
Von 1969 bis 1994 gehört Schmude dem Deutschen Bundestag an. In seinem zunächst noch stark von Kohle- und Stahlindustrie geprägten Wahlkreis gewinnt er stets das SPD-Direktmandat. Im Parlament bringt er sich vor allem durch Sacharbeit in Ausschüssen und Kommissionen ein und wird Vermittler für heikle Kompromisse, etwa im Abtreibungsrecht.
Schmude drängt nicht ins Rampenlicht – selbst, als er unter Bundeskanzler Helmut Schmidt (SPD) in die Regierung aufrückt. 1974 bis 1976 wird er Parlamentarischer Innenstaatssekretär und ab 1978 Ressortchef für Bildung und Wissenschaft. Als „Bonns unbekanntester Minister“ wird er 1979 im „Spiegel“ beschrieben, für den gelte: „Die Sache ist alles in der Politik, die Person ist nichts.“ 1981 übernimmt Schmude von Hans-Jochen Vogel das Justizressort, das er bis zum Ende der sozial-liberalen Koalition 1982 leitet.
Jürgen Schmude wird zum Experten in der Deutschlandpolitik, einem Minenfeld, in dem es auf Verlässlichkeit und diplomatisches Geschick ankommt. Seine langjährigen politischen und kirchlichen Kontakte in die DDR kommen der EKD zugute, die während ihrer Synodentagung im badischen Bad Krozingen am 9. November 1989 vom Mauerfall überrascht wird.
 In zahlreichen Gremien handelt er die kirchliche Wiedervereinigung mit aus. „Mir ging es darum, den ostdeutschen Landeskirchen ein kollegiales Mitspracherecht zu eröffnen“, so Schmude. Mit dem Respekt aus Ost und West leitet Schmude die EKD-Synode unaufgeregt, gelegentlich mit einem Schuss Ironie und auch Selbstironie. 2003 tritt er nach 15 Jahren nicht mehr als Präses an.
   Sein Rat bleibt weiter gefragt, sein ruhiges Wort hat Gewicht. Bis 2012 gehört Schmude dem Deutschen Ethikrat an. Er engagiert sich heute noch in seiner Kirchengemeinde und bei den SPD-Senioren.