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Evangelisches Kirchenparlament tagt in Würzburg

Sexualisierte Gewalt im Fokus: Die EKD-Synode stellt sich den Ergebnissen der Missbrauchsstudie. Daneben diskutiert das Kirchenparlament über Migration und trifft wichtige Personalentscheidungen.

Gut zehn Monate ist es her, dass in Hannover die erste bundesweite Missbrauchsstudie für die evangelische Kirche und die Diakonie vorgestellt wurde. Das Ausmaß hat viele entsetzt: 2.225 Betroffene und 1.259 Beschuldigte seit 1946 wurden ausgemacht. Die Dunkelziffer dürfte deutlich höher sein. Zudem stellten die Studienautoren Kirche und Diakonie im Umgang mit Missbrauchsfällen ein schlechtes Zeugnis aus und gaben 46 Empfehlungen für Verbesserungen.

“Wir als evangelische Kirche sind in der Pflicht”, erklärte damals die kommissarische Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Bischöfin Kirsten Fehrs. Konkrete Maßnahmen würden entschlossen angegangen, versprach sie. – Nun sollen diesen Worten Taten folgen: Erstmals seit Vorstellung der Studie tritt vom 10. bis 13. November in Würzburg die Synode der EKD zusammen. Nachdem Kirchenvertreter gemeinsam mit Betroffenen zehn Monate lang im sogenannten Beteiligungsforum über die Studienergebnisse beraten haben, soll das Kirchenparlament erste Anti-Missbrauch-Maßnahmen beschließen.

“Grundsätzlich erwarte ich, dass die Synodalen ein Stück weit aufwachen”, sagte die Sprecherin der Betroffenen im Beteiligungsforum, Nancy Janz, der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA). Es gehe um viele strittige Punkte. “Da braucht es große Unterstützung, und alle Landeskirchen müssen mitziehen.”

Aus den 46 Empfehlungen der Studie hat das Beteiligungsforum einen Plan mit 12 Maßnahmen entwickelt. Darin sollen alle Empfehlungen berücksichtigt sein. Beschließen sollen die Kirchenparlamentarier unter anderem die Schaffung einer zentralen Ombudsstelle für Betroffene, eine Reform der Gewaltschutzrichtlinie der EKD und eine stärkere Berücksichtigung des Missbrauch-Themas in der Theologie.

Schon etwas länger in Vorbereitung ist eine Reform des kircheninternen Disziplinarrechts, die ebenfalls von der 128-köpfigen Synode verabschiedet werden soll. Missbrauchsbetroffenen soll damit weitgehende Akteneinsicht bei kircheninternen Verfahren gegen beschuldigte Mitarbeiter ermöglicht werden. Auch sollen sie ein Informationsrecht über den Verfahrensstand bekommen – und das Recht, sich durch das Verfahren von drei Personen kostenfrei begleiten zu lassen.

Ein bundesweit einheitliches Verfahren für kirchliche Anerkennungszahlungen an Betroffene wird hingegen – anders als geplant – nicht im Rahmen der Synodentagung verabschiedet. Zwar wurde der entsprechende Entwurf für eine Anerkennungsrichtlinie – nach langem Ringen – im Beteiligungsforum erarbeitet. Aber es hakt es bei der Umsetzung. Nach verschiedenen Einwänden musste er den 20 Landeskirchen und 17 Diakonie-Landesverbänden noch einmal zur Stellungnahme vorgelegt werden. Frühestens im März nächsten Jahres könnte er dann vom Rat der EKD beschlossen werden.

“Dass wir dieses Stellungnahmeverfahren zwischengeschaltet haben, ist ärgerlich, aber notwendig”, so Betroffenensprecherin Janz. “Nur so können wir erreichen, dass wir zu einer einheitlichen Regelung kommen und nicht einzelne Landeskirchen doch wieder ihr eigenes Ding machen.” Sie könne verstehen, dass viele Betroffene darüber enttäuscht seien.

Außerdem werden auf der Synodentagung einige wichtige Personalien entschieden. Im 15-köpfigen Rat, der die evangelische Kirche nach außen vertritt, sind drei Plätze nachzubesetzen. Die frühere Ratsvorsitzende Annette Kurschus war im November vergangenen Jahres zurückgetreten. Sie reagierte damit auf Vorwürfe, mit einem mutmaßlichen Missbrauchsfall falsch umgegangen zu sein. Daneben hat der Jura-Professor Jacob Joussen angekündigt, seine Ratsmitgliedschaft bei der Synodentagung niederzulegen – unter anderem weil er mit der Missbrauchsaufarbeitung der EKD nicht einverstanden ist. Der hessen-nassauische Kirchenpräsident Volker Jung will aus dem Gremium ausscheiden, weil er Ende des Jahres in den Ruhestand geht.

Auf die freien Plätze bewerben sich bislang die Präsidentin der Reformierten Kirche, Susanne Bei der Wieden, der Berliner Bischof Christian Stäblein, die habilitierte Historikerin und Ordensschwester Nicole Grochowina und Diakonieexpertin Andrea Wagner-Pinggera. Damit sind zwei leitende Geistliche und zwei andere Mitglieder der Synode im Rennen. Wahlberechtigt sind alle Synodalen sowie ein weiteres Leitungsgremium, die Kirchenkonferenz, in der alle Landeskirchen verteten sind. Sie können bis kurz vor der Wahl weitere Kandidatenvorschläge machen.

Die beiden Gremien werden in Würzburg auch über die Nachfolge von Kurschus an der Spitze des Rats entscheiden und aus der Mitte der dann gekürten Ratsmitglieder einen neuen Vorsitzenden wählen. Bislang leitet die Hamburger Bischöfin Kirsten Fehrs das Gremium kommissarisch. Es gilt als sicher, dass sie in ihrem Amt bestätigt wird.

Das eigentliche Schwerpunktthema des Synode soll nach dem Willen der Verantwortlichen “Migration, Flucht und Menschenrechte” sein. Präses Anna-Nicole Heinrich und weitere führende Vertreter des Kirchenparlaments waren dazu bereits im Juli nach Griechenland gereist, um sich auf Kos und in Athen über die Situation von Geflüchteten zu informieren. Auf der Tagung sollen unter anderem die Migrationsexpertin Petra Bendel und Flüchtlingshelfer zu Wort kommen. Angesichts des großen Redebedarfs zum Thema Missbrauch überrascht diese Schwerpunktsetzung. Möglicherweise will das Parlament damit zum Ausdruck bringen, dass sich die Kirche nicht nur mit sich selbst beschäftigt.